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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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gelebt, und so fiel es nicht auf, wenn sie in dieser leeren Wohnung tatsächlich allein blieb.
    Einige Tage nach ihrem vierzigsten Geburtstag hatte ihr Lebensgefährte sie verlassen, und mit dem hatte sie weder hier noch anderswo in einer Wohnung zusammengelebt. Höchstens, dass sie auf ein paar Stunden das Bett teilten, je nach Lust und Laune, hin und wieder, an den Wochenenden. Seither hatte die Tante eigentlich niemanden mehr, auch wenn sie gelegentlich mit ihrem Agenten in Paris und dem einen oder anderen Mitarbeiter ins Bett ging, aus alter Gewohnheit. Aber im Grunde war schon immer das Sammeln von Bildern ihre tiefere, heimlichere Leidenschaft gewesen, nicht die Damenmode, nicht die Männer.
    Sie sammelte nur bestimmte Maler, und ausschließlich Bilder von lebenden Zeitgenossen.
    Wer gestorben war, existierte für sie nicht mehr, mit ihm starb ja auch die Möglichkeit eines aufregenden Austausches. Sie sammelte auch keine Ölbilder, sondern nur Temperas, Gouachen, Tuschzeichnungen, Aquarelle, sonst nichts, auch keine Bleistiftzeichnungen oder Stiche. Diese von einem heiklen geschäftlichen Kalkül begrenzte Leidenschaft hatte in ihrer Wohnung kaum eine sichtbare Spur hinterlassen. Zwar hingen hier einige ziemlich unbedeutende Ölbilder, aber von den Bildern, die sie mit wahrer Leidenschaft sammelte, hängte sie nur hin und wieder eins auf, und nicht unbedingt die bedeutendsten. Je nach Stand ihrer Leidenschaft wechselte sie nach reiflicher Überlegung die Bilder aus, was einem uneingeweihten Auge nicht auffiel, schon deshalb nicht, weil sich diese Bilder unabhängig von ihren Schöpfern ziemlich ähnelten. Sie bewahrte ihre Sammlung im klimatisierten Safe einer Düsseldorfer Bank auf, wovon abgesehen von ihrem Anwalt und dem Agenten, der die Käufe vorzubereiten hatte, niemand etwas wusste. Der Agent war Pariser, genauer gesagt ein Luxemburger Flame, der in Paris lebte, denn von Paris aus ließ sich der Markt nach wie vor am besten überblicken, aber sie träumte davon, in Tokio und New York ebenfalls einen Agenten zu haben. Dafür aber hätte sie um etliches vermögender sein müssen, oder vielleicht bloß mutiger, wer weiß.
    Der kalte Tee klebte streifig im Inneren der Tasse. Als endlich das Telefon auf dem Esszimmertisch klingelte, ließ sie es lange läuten.
    Sie stellte die Tasse langsam ab, die Silberreife an ihrem Handgelenk klirrten sachte.
    Vor gut zehn Jahren hatte sie beschlossen, winters wie sommers ausschließlich Schwarz und ausschließlich Silberschmuck zu tragen. Lippen und Nägel waren dunkelrot angemalt, zu stark, zu dick, zu rot, das Haar hochgesteckt und fast vollständig verdeckt von einem Tuchband. Sie sah immer aus, als wäre sie gerade dabei, sich zu schminken. Tücher hatte sie an die hundert, in allen Schattierungen von Weiß bis Schwarz. Ihr attraktiv regelmäßiges, an eine spezielle Frucht erinnerndes Gesicht und ihre gewölbte, glatte klare Stirn bekamen dadurch etwas Nacktes. Wie ein Markenzeichen trug sie diese um ihren Kopf gewickelten schwarzen und weißen Bänder, unter denen ihr dunkles, inzwischen wahrscheinlich gefärbtes Haar nur ein wenig hervorquoll, wie eine Art Schmuck, wie ein Signal ihrer stolzen Persönlichkeit. Ihre Finger waren mit Ringen, ihre Handgelenke und Arme fast bis zu den Ellenbogen mit Silberreifen bedeckt. Sie hatte eine tiefe, volltönende, durchdringende und befehlsgewohnte Stimme, doch wenn sie mit ihrem Neffen sprach oder mit dem Pariser Agenten, einem hübschen kleinen glatzköpfigen Mann, versuchte sie instinktiv, wenigstens die Intensität ihres Sprechens zu dämpfen.
    Doch was immer sie tat, ihre überbordende Persönlichkeit brach jedes Mal durch.
    Immerhin behandelte sie diese zwei Menschen vorsichtiger als andere Leute, sie ging keine Risiken ein, redete mit ihnen, als fürchte sie auch nur das kleinste Missverständnis.
    Döhring, meldete sie sich leise und bestimmt, während sie mit dem Telefon zum Fenster zurückging.
    Hier auch, antwortete der junge Mann am anderen Ende der Leitung.
    Die Tante schwieg, wartete lieber erst mal ab.
    Es hat so lange geklingelt, ich dachte, du gehst gar nicht dran, fügte der junge Mann hinzu.
    Warum hätte ich nicht drangehen sollen, fragte die Tante kühl, bedächtig, was ist passiert, fragte sie.
    Ich wollte schon aufhängen, sagte der junge Mann aufgeregt. Ich dachte schon, du bist weggegangen.
    Wohin hätte ich denn gehen sollen, sagte die Tante, in ihrer Stimme brach die Gereiztheit durch, nachdem ich

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