Parallelgeschichten
Ohrfeige, der sie nicht ausweichen, die sie nicht dämpfen konnte. So dick waren diese Wände ja tatsächlich nicht, dass sie nichts hörte. Aber sie hielt sich an die eben erreichte Übereinkunft. So wie sie drinnen sich Mühe gaben, jeglichen Ton zu vermeiden, durfte sie sie nicht hören. Wenn sie sofort wegging, hätte sie sich gerade nicht an die Übereinkunft gehalten. Und ob die drinnen wollten oder nicht, ihre Körper arbeiteten, das Bett ächzte mehrmals unangenehm auf. Es wurde allmählich unbequem. Ohne egoistische kleine Bewegungen hätten es ihre Glieder nicht mehr ausgehalten.
Frau Szemző hörte zwar nicht viel davon, sie lenkte sich mit ihrer Wut ab, aber diese hatte peinliche Spalten. Sie liebte ihre Handschuhe. Es war keineswegs so, dass sie nicht sah, was ihre Seele mit ihr vollführte. Bloß keine unnötigen Dramen, und doch steckte sie bis zum Hals drin, sie hätte nicht einmal den Verdacht abwehren können, dass sie selbst hatte hineingeraten wollen.
Bevor sie gezwungen wurde, ihre Praxis zu schließen, hatte sie als eine der namhaftesten und bestbezahlten Analytikerinnen der Stadt gegolten, lächerlich, wenn sie in diesem Fall nicht durchblickte.
Es mussten fein gefütterte Handschuhe sein, die sich eng um die Finger schmiegten. Eine besondere, beinahe verletzende Lust, jeden Fingeransatz zu spüren.
Unmöglich, diese Vergesslichkeit ist wirklich unmöglich, sagte sie sich, auch wenn ihre angeblichen Unmöglichkeiten sie überhaupt nicht störten, sie durchschaute ja auch die.
Eine andere Zuflucht als ihre Vergesslichkeit hatte sie nicht.
Es empörte sie so sehr, ihre vor Monaten liegengelassenen Handschuhe auf verschiedenen Möbeln zu entdecken, dass sie im Dunkeln errötete. Was sie doch überraschte. In ihrem mit blauen Ranken bestickten Leinenkostüm wurde ihr heiß. Aber auch das wischte sie mit einer Handbewegung weg, auch mit Rotwerden und Hitzewallungen wollte sie sich nicht selbst täuschen. Doch da waren zu viele innere Stimmen, und ein drittes Mal musste sie es aussprechen, um die Wut in sich zu bremsen und die Neigung zur Kontrolle zu befriedigen. Sie nickte heftig, dieser sonst kaum wahrnehmbare, weil geschickt kaschierte Tick wurde, wenn sie erregt war, stärker. Es ist wirklich unmöglich, dass ich alles liegenlasse und vergesse, sagte sie sich, während sie gleichmütig beobachtete, wie sie sich beruhigte.
In Wirklichkeit verhielt es sich so, dass in ihrem Kopf alles gleichzeitig vorhanden war und sie überhaupt nichts vergessen konnte. Auch wenn sie sich nicht erinnerte, denn absichtlich rief sie sich nichts ins Gedächtnis zurück. Sie führte das Vergessen künstlich herbei.
Jawohl, jetzt endlich würde sie ihre vermaledeiten Winterhandschuhe versorgen. Ihre berühmte Handschuhsammlung hatte die Katastrophe ebenfalls überlebt. An Situationen, in denen ein Paar Handschuhe nützlich gewesen wären, erinnerte sie sich nicht. Sie und ihre beiden Söhne waren mitten im Sommer verschleppt worden. Anstelle realer Gegenstände erfand sie welche, beschäftigte damit ihre Erinnerung, oder ließ, im Gegenteil, Gegenstände aus der Erinnerung verschwinden und tat, als hätten die gar nie existiert, befreite ihr Bewusstsein von allem Bedrückenden. So geht das wirklich nicht. Sie musste sich über allerlei unwesentliche Kleinigkeiten künstlich aufregen, um ihren Geist im Leerlauf zu beschäftigen. Dauernd leierte sie für sich etwas herunter, damit sich keine einzige ihrer gereizten Äußerungen auf das bezog, dessen Kenntnisnahme sie für unpassend oder unrichtig hielt. Sie simulierte nicht Taubheit oder Blindheit, sondern hörte und sah tatsächlich nicht, was sie nicht hören und sehen wollte.
Sie erlaubte ihrem Körper und ihrer Seele, ihr etwas vorzumachen. Und wusste, wie sie ihnen zur Hand gehen konnte, damit sie Ruhe gaben.
Sie hielt sich dauernd unter scharfer Kontrolle.
An sich ist der Mensch ein ziemlich durchsichtiges, mechanisch funktionierendes System, das war ihre feste Überzeugung. Kompliziert wird er im Verband mit den anderen, und das ist schon mehr als genug. Mit einem Untermieter leben, da kommt die Sozialgeschichte mehrerer Generationen ins Spiel. Jenseits davon breitet sich die Seele aus mit allen ihren mechanischen Tricks. Die Geschichte der Seele und die der gesellschaftlichen Beziehungen berühren sich kaum, sie treten selten in eine unmittelbare Beziehung, schreiben nebeneinander zwei verschiedene Geschichten. Man muss das Ganze fortwährend schön
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