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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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auseinanderhalten. Und tut das auch fortwährend. Das war ihre feste Überzeugung. Frau Szemző neigte zum abstrakten Denken, und wenn sie davon loskommen wollte, redete sie anderen gekünstelt nach dem Mund. Erst jetzt schmiss sie ihre Handtasche von sich. Rein in die Schublade. Dass es knallte.
    In der Schublade befanden sich zwei große Kartonschachteln, je eine für die Sammlung der Winter- beziehungsweise der Sommerhandschuhe.
    Durch die matten Scheiben der Glastür sickerte das grau gesiebte Licht der nüchternen Deckenlampe.
    Die Entrees der Budapester Wohnungen sind mit wenigen Ausnahmen formlos und mickrig. Offenbar sind die ungarischen Architekten der Meinung, dass es egal ist, wohin und wie man eintritt. Dieses Entree war mit Möbeln vollgestopft, die zu den Maßen und Proportionen des Raums nicht passten. Man konnte nur gerade zwischen ihnen durchschlüpfen, und jetzt warfen diese Möbel auch noch chaotische Schatten. Als stünde hier alles nur provisorisch, obwohl sich seit zehn Jahren nichts von seinem Platz gerührt hatte.
    So wie es die Möbelträger hingestellt hatten.
    Sie schob die Aufgabe Tag um Tag hinaus, vor sich hin, wie einen leblosen Gegenstand; als sei derjenige noch am Leben, der es am nächsten Tag an ihrer Stelle erledigen würde. Szemző, ein bekannter Dermatologe, hatte zehn Jahre zuvor an einem Frühlingsmorgen im sonnigen Badezimmer ihres Hauses auf dem Orbánhügel einen Schlaganfall erlitten. Damit war ein ewiges Gestern besetzt.
    Szemző war mit einem einzigen überraschten Ausruf zusammengesackt. Von denen, die sich vor der Vernichtung gerettet hatten, starben in jenen Jahren viele auf so unvermittelte Art. Mit seinem Tod stieß er alles um, was sich noch als ein Morgen bezeichnen konnte.
    Es war ihm an der Ecke Személynök- und Balaton-Straße gelungen, aus der Reihe auszuscheren.
    Erst viel später erfuhr er, an welcher Stelle des Donau-Kais die anderen erschossen worden waren.
    Nach seiner Beerdigung überließ Frau Szemző das Mietrecht ihrer bereits verstaatlichten Villa für einen symbolischen Betrag einem eilig aus der Provinz heraufgeholten Offizier des Staatssicherheitsdiensts, einem ängstlichen blonden Mann mit vielen Kindern, den man ihr auch sonst als Mitmieter auf die Bude geschickt hätte. Wenn sie auf dem Haus auf dem Orbánhügel bestanden hätte, hätte sie ins Souterrain hinunterziehen müssen, worauf sie doch lieber verzichtete. Sie zog in diese Wohnung in der Pozsonyi-Straße, wo sie sowieso nicht praktizieren durfte. Das war der Sinn der Transaktion. Wenigstens das Eigentumsrecht der Wohnung behalten, was der Geheimpolizist im Gegenzug für sie erledigte. So kam es, dass sich die Möbel auftürmten. Ein Haufen unwichtiges Zeug, von dem sie nicht loskam. Obwohl sie nichts erwartete, aber auch dieser Schwäche war sie sich bewusst. Wenn sie wenigstens in der Wohnung nicht eine neue Ordnung schuf, die irgendwie der alten glich, konnte sie nach außen geschickter verheimlichen, wie sehr sie sich gedemütigt fühlte.
    Nicht von irgendeiner bestimmten Person, sondern von allen Personen, die sie mit sich schleppte.
    Sie fühlte sich, als hätten sich alle ihre Poren geöffnet.
    Und was jetzt.
    Auf der anderen Seite der Wand hauchte Ágost diese Wörter nur gerade, flüsterte sie zischelnd.
    Sie starrten sich mit aufgerissenen Augen an. Und grinsten wie Kinder, die etwas ausgefressen haben und sich jetzt erschreckt ducken.
    Weiß nicht, hauchte Gyöngyvér zurück.
    Ihre Haut glänzte, ihre Augen brannten im Dunkeln. Sie waren schön, wild, stark. Und erwarteten einen ganz anderen Sturm als den, der jetzt über sie hereingebrochen war.
    Das wird für dich noch Probleme geben, fürchte ich.
    Glaube ich nicht, vielleicht hat sie wirklich nichts gemerkt.
    Wozu braucht sie das Licht.
    Sie hat Angst. Oder was weiß ich.
    Wovor.
    Vor dir. Ich weiß nicht, wovor. Vor Dieben.
    Wo zum Kuckuck geht sie denn hin.
    Bridge spielen mit ihren Freundinnen.
    Ach so. Wie viel Uhr ist es überhaupt.
    Halb zehn, glaube ich, ganz bestimmt.
    Woher weißt du das.
    Sie geht vor Torschluss, damit sie noch vor Torschluss dort ist. Kannst dir ja vorstellen. Die alten Mädchen können nicht schlafen.
    Darüber lachten sie ziemlich laut.
    Du machst Witze.
    Wieso Witze, die spielen bis zur Morgenfrühe. Manchmal kommt sie erst am Morgen zurück. Aber halt endlich den Mund. Sie wachen zusammen. Hörst du nicht, die kramt da herum.
    Klar hör ich’s.
    Da rührten sie sich wirklich nicht, nur im

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