Parallelgeschichten
und kaum hatte sie sich aufgesetzt, löste sich ihre hochgesteckte Frisur, und das weiße Haar fiel ihr hässlich auf die Schultern.
Es ist doch klar, denke ich, dass sie nicht allein war. Als sähe ich kopulierende Raupen, oder so etwas.
Von solchen Themen sprachen sie selten, und auch dann nur mit größter Vorsicht.
Lasst die Finger von meinen Erlebnissen, schien Irma damit zu sagen.
Sie sperrte sie aus der gemeinsamen Vergangenheit aus, strafte die dummen Gojim, die von nichts eine Ahnung hatten und mit ihrer großen Anteilnahme gleich steckenblieben.
Als hätte man sie in ihrer angestammten Überheblichkeit gestört, trat Mária Szapáry an den Tisch und hob, gewissermaßen um Ordnung zu schaffen, das Glas aus der Getränkepfütze. Aber das brachte nicht viel, auch sie begriff nicht, was eigentlich los war. Vom Glasboden tropfte der zuckerige Saft auf den grünen Filz zurück. Unterdessen vermied sie bewusst Elisas Blick.
Sie wollte sie nicht sehen.
Heißt das, du hast sie
in flagranti
ertappt, fragte Margit Huber und wischte sich mit dem Handrücken in zwei raschen kleinen Bewegungen die Tränen aus den Augen.
Wie Raupen, wie Würmer, so hell war es noch, dass ich mich nicht täuschen konnte.
Und was hast du gemacht.
Was sollte ich machen, gerade das war die Frage, deshalb erzähle ich es euch. Ich tat, als sähe ich es nicht.
Ach so.
Was Besseres hättest du gar nicht tun können.
Izabella Dobrovan beschloss dazwischenzutreten, bevor sich die Fronten völlig verhärteten.
In jungen Jahren war sie Tänzerin gewesen, ein fataler Bühnenunfall hatte ihre beginnende Karriere beendet. Ihre unauffällige, bescheidene Entschlossenheit verdankte sie wahrscheinlich der tänzerischen Dressur. Mit ihrem kaum ergrauten, hinten in einem dichten Knoten zusammengehaltenen schwarzen Haar, ihren fast schmerzlich mageren Gliedern, ihrer weißen, trockenen Haut, ihrer straffen Haltung war sie die Ansehnlichste von allen, auch wenn sie in keiner Weise auffiel, weder durch Schönheit noch durch Hässlichkeit.
Ihr dunkles Seidenkleid rauschte durchs Zimmer.
Seit Jahrzehnten behielten sich sich im Auge, sahen sich auch hinter geschlossenen Lidern.
Gewisse Dinge besprachen sie manchmal, wenn auch eher nur kurz und unter vier Augen, und sie hüteten sich vor Urteilen, wie es sich Margit Huber vorhin erlaubt hatte. In Tat und Wahrheit wussten sie sehr wenig von der Intimsphäre der anderen. In einem schwachen Moment hatte zwar Margit Huber Frau Szemző das große Geheimnis ihres Lebens anvertraut, von dem nicht einmal Izabella Dobrovan wissen durfte. Obwohl diese den heimlichen Bezügen sensibel auf der Spur war, so wie sie auch jetzt Mária unmerklich half, sich wieder hinter dem Bollwerk ihrer Überheblichkeit zu verschanzen.
Margit Huber ihrerseits war von der Mitteilung peinlich berührt, denn Gyöngyvér Mózes war ihre Schülerin.
Gyöngyvér verdankte es ihr, dass sie bei Frau Szemző, die es wahrhaftig nicht nötig hatte unterzuvermieten, wohnen durfte.
Mit einem Wort, ihre Leben waren gründlich ineinander verflochten.
Und obendrein war Margit Huber eine leidenschaftliche Organisatorin anderer Leben, sie hielt gewissermaßen die Fäden in der Hand. Bei Irma stand ein Konzertflügel, und Margit hatte darauf spekuliert, dass ihre Freundin gelegentlich Gyöngyvér begleiten würde. Sie spielte nicht gerade phänomenal, aber ganz passabel. Ihrem Spiel fehlte das Erhabene. Und wenigstens war sie dann nicht mehr so allein.
Wirf sie raus, sagte sie.
Fällt mir gar nicht ein.
Verstehen wir uns nicht falsch, ich habe nicht erst jetzt die Hand von ihr zurückgezogen. Meinetwegen kannst du sie gern rauswerfen.
Gib das Glas her, sagte Dobrovan, und nahm Mária das tropfende Glas aus der Hand. Ich hole einen Lappen, um die Schweinerei da aufzuwischen, wenn du gestattest.
Ich mache eher mir selbst Vorwürfe, sagte Frau Szemző. Eine hübsche junge Frau, warum sollte sie nicht ein Leben haben.
Sie ist ein hoffnungsloser Fall, ich sag’s dir. Allen unseren Bemühungen zum Trotz.
Warum wäre sie hoffnungslos, was heißt hoffnungslos.
Das kannst du nicht beurteilen.
Ich habe ja auch nicht behauptet, dass ich es beurteilen kann.
Es ist nicht ihre Stimme, sie hat keine psychischen Reserven. Der ganze Fall ist hoffnungslos. Was sie zum Glück nicht weiß.
Wenn sie singt, ist sie aber immer sehr überzeugend, vor allem ihre Aufmerksamkeit, ihre Leidenschaft.
Wenn jemand auf so wackligen Füßen steht, nützt das
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