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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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großen Tochter.
    Damit hatte keine von ihnen gerechnet, auch wenn sich auf ihren Gesichtern keine Überraschung zeigte. Sie starrten sie bloß wie ein Götzenbild an.
    Mária Szapáry war dabei, über eine dämmerige Hintertreppe zu steigen. Sie wusste wirklich nicht, warum ihr das gerade jetzt in den Sinn kam. Nicht durch den Haupteingang, nicht von der Via della Lungara her, sondern durch eine Nebentür betrat sie das Haus, aus der Via dei Riari.
    An dem Vormittag waren sie vielleicht schon zum dritten Mal bis auf die Haut durchnässt worden, wieder liefen sie vor dem weichen, warmen Regen davon, ein Mann hielt Margit Huber bei der Hand, dann flüchteten sie sich irgendwo zwischen der Rue Réaumur und der Rue du Vertbois unter die gestreifte Markise eines Cafés.
    Wie sollte Irma wissen, wo die anderen in ihrem Leben gerade unterwegs waren.
    Sie standen unter dem bleichen Lampenlicht und starrten mit der vollkommenen Gleichgültigkeit Außenstehender auf sie, diese ihrer einstigen Gestalt entkleideten menschlichen Monster. Mehr konnte sie nicht erwarten, und am wenigsten von denen, die ihr am nächsten standen.
    Ihren Gesichtern war anzusehen, dass sie verstanden hatten, so blöd waren sie ja nicht, und doch vermochten sie weder Hände noch Beine noch einen Muskel ihres Gesichts zu bewegen. Frau Szemző begriff durchaus, dass sie nicht anders konnten, denn aus dem Kult der Sünde folgt ja, dass man Sünden begeht.
    Was dazu führte, dass etwas Infantiles aus ihr heraussprudelte.
    Und was soll ich jetzt mit dieser Ungehobeltheit, rief sie entsetzt und entsetzlich. Was soll ich mit euch, mit eurer Teilnahmslosigkeit.
    Sie kannten sie nicht von dieser Seite.
    Das waren die einsamen Nächte.
    Tagsüber musste sie es überwinden, überspielen, nachts hingegen half ihr nur die körperliche Müdigkeit. Oder sie musste sich umbringen. Das blieb ihr geheimster Wunsch. Sie nickte heftig zu jedem ihrer Wörter, denn da ihr gerade die Selbstdisziplin abhandengekommen war, wurde sie auch von ihrem sonst geschickt verhüllten Tick übermannt. Jetzt durften sie ihn voll und ganz sehen, wie einen Vorgeschmack.
    Was sollten sie mit ihrer eigenen Geschichte, was mit der Geschichte der anderen anfangen.
    Sie alle schleppten an ihren Niederlagen, an ihrem allumfassenden Scheitern. Es gab niemanden, der auf ihre Fragen antworten konnte, und einen Gott, dem sie sie antragen konnten, fanden sie nicht. Ihr Schweigen wurde von den nächtlichen Lüften nur gerade berührt, vom ergreifenden Zirpen der Grillen, vom Rumpeln der sich immer weiter entfernenden Schleppkähne, vom süßen Duft der Petunien.
    Wenn das wirklich so ist, sagte Mária Szapáry nach einer Weile, eher neugierig als vorwurfsvoll, warum hast du sie dann bisher nicht aufgesucht. Oder was weiß ich, du hättest dir etwas ausdenken sollen, immerhin hat sie ihr Kind verloren.
    Was, was hätte ich mir ausdenken sollen.
    Was hätte ich überhaupt erzählen können, wo hätte ich es erzählen sollen. Und wem. Und vor allem warum, warum hätte ich es erzählen sollen.
    Woher sollte ich wissen, dass sie es nicht weiß.
    Niemand hat mich darum gebeten. Wann hätte ich es ihr denn erzählen sollen, ja, wann. So was kann man doch nicht einfach irgendwann erzählen, und man denkt ja auch nicht immer nur daran.
    Sie schwiegen weiter, als grübelten sie tatsächlich darüber, wann so ein Gespräch hätte stattfinden können oder sollen, wo doch diese Geschichte, in der sie alle drinsteckten, weder Zeit noch Ort noch eine bestimmte Gattung hatte.
    Euch hingegen würde ich liebend gern erzählen, und das werde ich auch gleich tun, sagte Frau Szemző, die mit dieser Floskel ihren Tick zu zügeln versuchte. Sie holte sich vom jenseitigen Ufer herüber und fiel in ihren üblichen, leidenschaftslosen Ton zurück.
    Und Erna Demén könnt ihr sagen, sie solle mich ruhig anrufen, und fertig. Damit braucht wirklich nicht ihr euch abzugeben. Aber ich wollte schon die ganze Zeit erzählen, dass ich, bevor ich herkam, zufällig, oder wie soll ich sagen, jedenfalls sicher nicht absichtlich, bei meiner Untermieterin die Tür aufgemacht habe.
    Was du nicht sagst, sagte Mária mit dumpfer, missbilligender Stimme.
    Wirklich hochinteressant.
    Gleichzeitig richtete sich Margit Huber entrüstet auf.
    Was soll das, fragte sie, die Vokale dehnend, was heißt, du hast die Tür bei ihr aufgemacht, was soll jetzt das bedeuten.
    Unter ihrem Körper quietschte das Leder, die verbrauchte Federung des Sofas ächzte,

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