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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Nacht mehrere Male. Kein Unterschied mehr zwischen Innen- und Außenwelt, in der Schöpfung ist alles vorausbestimmt, und jetzt fehlte nur noch der letzte Akkord, damit alles seine Erfüllung fand, das Todesröcheln oder der Samenerguss. Wenn er sie ließe, würden sie ihn erbarmungslos foltern, mit scharfen Zähnen seine Muskelstränge zerfetzen, und im Handumdrehen sein Fleisch verschlingen.
    So dachte er, denn anders konnte er es sich nicht vorstellen, vielleicht wollte er auch den Genuss nicht kennen, den diese beiden heimtückisch vorbereiteten.
    Das vom fernen Licht der schwankenden Gaslaternen gefleckte Dunkel war voller ausgetretener Pfade, voller knallender Schritte. Es gab Männer, die den Pfad verließen und sich in die Büsche schlugen, um ihren Körper als freie Beute anzubieten oder jemanden zu suchen, der den seinen stumm und bereitwillig anbot. Das war eine der Grundregeln des Orts. Wenn abends nach zehn die nichtsahnend schlendernden Liebespaare verschwanden, leuchteten in der Tiefe des Dunkels, in das weder das Licht der Gaslaternen noch der Widerschein der Stadtbeleuchtung drangen, bald die Glieder splitternackter Gestalten auf. Wer vom unreifen kleinen Jungen zum voll entwickelten Mann werden muss, ist neugierig darauf, wie die anderen Männer beschaffen sind. Benommen läuft er ihnen nach, um zu sein wie sie. Er dachte sich gern an ihre Stelle, wie sie sich jedem Beliebigen anboten oder nackt einen wildfremden Körper in Besitz nahmen, obwohl er für sich fortwährend wiederholte, er wolle doch bloß schauen, nichts als schauen.
    Ihr Aufputschmittel war die gemeinsame Phantasie, was die Dunkelheit in einer Erregung vibrieren ließ, die kein Sterblicher hätte befriedigen können.
    Als käme er in den Besitz eines verbotenen Wissens, des mit sieben Siegeln versehenen Geheimnisses der Stadt.
    Wenn er ihnen ganz vorsichtig, auf jedes Knacken achtend, nachschlich, flatterten sie auseinander, fuhren in ihren Spielen anderswo fort, suchten andere dazu, oder sie machten ihm Zeichen, winkten, zischten, er solle kommen, als Dritter, als Vierter im Bund. Es war ihnen gleich. Sie boten ihre zum Küssen, zum Lecken geöffneten Lippen an, ihre Ärsche, ihre steifen Schwänze zum Blasen. Sie waren ein Hohn auf die Sehnsucht nach Zusammenleben, auf die sentimentalen Vorstellungen von Paarung.
    Alles konnte geschehen. Da war er es, der sich entsetzt aus dem Staub machte.
    Aber das war nicht immer egal.
    Im Allgemeinen war niemandem an jemandem gelegen, nichts hatte auch nur für einen Augenblick Bestand, die Gelegenheitsbeziehungen lösten sich gleich wieder auf, über eine gewisse Männlichkeit verfügte ja jeder, der dem Männlichkeitskult geweihte Schutz- oder Trutzbund ließ sich mit einem anderen, jedem Beliebigen, in beliebiger Form neu schließen. Aber auch diese strengen Grundregeln wurden fortwährend um- und neugeschrieben.
    Ich seh nicht durch, dachte er, und ging ihnen benommen nach.
    Es gab solche, die plötzlich jemanden fanden, den Richtigen, mit ihm glücklich kichernd abzogen. Und nach ein paar Minuten wiederkamen, als wäre nichts Besonderes geschehen, und gleichgültig oder enttäuscht weitersuchten. Es gab solche, die ihre Kleidung in den mittelalterlichen Ruinen des Margaretenklosters versteckten, um auffälliger und provokanter nackt zu sein, in leeren Statuennischen, in Torfüllungen, hinter gotischen Kragsteinen, andere falteten sie zu winzigen Packen und schnallten sie sich um die Hüfte oder auch ans Bein, unter dem Knie. Furchterregende Stammeskrieger. Er beneidete sie, mit einem warmen Gefühl in der Herzgegend, auch wenn er sie mehr als alle anderen fürchten musste, sie waren wild, erbarmungslos, hart und unberechenbar. Manchmal griffen sie in Gruppen an. Zischend und kindlich wiehernd machten sie bissige Bemerkungen, ihr Benehmen war affektiert, weibisch, trotz prachtvoller männlicher Muskeln. Sie zogen den Duft billigen Parfüms hinter sich her, und wuchtigen Schweißes. Und küssten, bliesen, schlugen ohne Überlegen zu. Die hatten ein für alle Mal beschlossen, über die Stränge zu schlagen.
    Und ich konnte mich nicht entschließen.
    Konnte mir einfach nicht vorstellen, was meine Rolle in einem solchen wahnwitzigen Gesellschaftsspiel sein könnte. Weder dafür noch dagegen konnte ich mich entschließen, für oder gegen nichts. Sehen wollte ich, mit beiden Augen deutlich sehen, diese Erscheinungen durchschauen, denn ich hatte das Gefühl, dass alles, was sie miteinander taten,

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