Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
ferner Gaslaternen lungerten einsame Männer herum, zeigten sich einander, blieben dann im undurchdringlichen Schatten einer Ruinenwand stehen und machten vorsichtig den Hosenschlitz auf.
    Der Duft der schweren, dichten Blütentrauben ist nicht süß, sondern kalt und karg, wie von Schmiedeeisen oder rohem Rindfleisch.

[zur Inhaltsübersicht]
    ZWEITES BUCH
    In den Tiefen der Nacht
    Margareteninsel
    Aber ich habe doch noch ein anderes Leben.
    Er läuft davon, blühende Zweige mit dichten Blütentrauben schlagen ihm ins Gesicht.
    Ein anderes Leben, ja, das hatte er.
    Er läuft davon.
    Hinter ihm das Aufschlagen schneller, langer Schritte, der heftige Atem des Verfolgers, zwischen Büschen und Bäumen dröhnt die dichtgetretene Erde des Pfads.
    Zu weit, ich bin zu weit gegangen, wimmert er vor sich hin. Und doch kann er nicht anders, wozu auch diese Selbstvorwürfe, alles, alle sind ja weit weg. Ein Spiel mit der Gefahr, weil er spüren will, dass er lebt, auch wenn jener andere in ihm die ganze Zeit nüchtern beobachtet.
    Ich habe den Bogen überspannt, habe sie aufs Blut gereizt.
    Auch mit Taschendieben, Mord und Polizeirazzien musste man im windsäuselnden, blumenduftenden Dunkel rechnen. Dann brachten sie ihn eben um, egal, nicht das machte ihm Angst. Die Gefahren der Nacht steigerten die Erregung ins lustvoll Unerträgliche. Vier Tage zuvor hatte er diesen seltsamen Ort entdeckt, war jeweils in der Morgenfrühe nach Hause gegangen und konnte kaum abwarten, bis es wieder dunkel wurde, das jetzt war die fünfte Nacht. Als betreibe er eine ethnologische Feldforschung, wobei er die strengen Stammesregeln noch nicht so recht kannte.
    Die Menschen hier redeten kaum miteinander, höchstens hörte man ein Gezischel, oder kurze Pfiffe. Sie tauchten auf, verschwanden. Schon waren ihm gewisse Gestalten vertraut, solche, die ihn suchten, beobachteten, verfolgten oder denen er selbst folgte, bis sie die Nacht spurlos verschluckte.
    Es waren viele.
    Sie schlichen, huschten, stahlen sich weiter, als könnten sie in dem von Geräuschen, Seufzen und Stöhnen erfüllten dichten Dunkel mühelos sehen. Er stellte fest, dass auch er im Dunkeln sah, was er besonders genoss. Sein Hirn machte Dinge fest, maß ab, stellte Zusammenhänge her, kombinierte, warf die nötigen Fragen auf, funktionierte in vollem Betriebsmodus. Nach einiger Zeit verstand er oder meinte zu verstehen, was die Schatten und Silhouetten wollten, und er begriff ihre stumm aufeinander angewiesene Leidenschaft. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse machten ihn glücklich. Angesichts der vielen verschiedenen Gestalten und Absichten leckte er sich aufgeregt die ausgetrockneten Lippen, auch sein Mund war trocken.
    Der jüngere Mann, der mit dem Schnurrbart, macht jetzt gleich einen großen Umweg, und noch bevor er aus dem dunklen Hain heraus ist, wird er ihm auf dem Pfad mit seinen mächtigen Gliedern den Weg verstellen. Und manchmal blieb er nicht nur stehen, sondern riss ihn grob an sich, nahm ihn zärtlich in die Arme, und seit er ihn zum ersten Mal auf den Hals geküsst hatte, erinnerte sich sein Fleisch an die Berührung und begehrte sie. Schon im Voraus sah er das lachende Gesicht dieses jüngeren Mannes mit der großen fleischigen Nase und dem über die Lippen hängenden ungarischen Schnurrbart, spürte schon seinen Atem, in dem Alkohol und Tabak eine besonders widerliche Mischung ergaben. Soll er ihn halt auf den Hals küssen. Allein vom Gedanken wurde er fast ohnmächtig vor Schreck. Diese zwei hünenhaften Männer spielen einander in die Hände, sie werden ihn in die Klemme nehmen. Er durchschaute auch, dass der Ältere den Lockvogel machte, so einer stand bei den anderen Männern und vor allem bei den Jungen seines Alters höher im Kurs. Auf solche flogen sie richtig, man sehnt sich ja nach Kraft, Größe, Perfektion, der Ältere entsprach ihren Sehnsüchten mit seiner bloßen Gegenwart. Die beiden warteten ja nur darauf, dass er harmlos in ihre Falle tappte. Ihre Strategie beruhte auf der physischen Vollkommenheit des Älteren, sie verführten in völliger Harmonie. Nicht der eine oder der andere, sondern beide wollten ihn sich unter den Nagel reißen, und das machte ihn misstrauisch. Aber er begriff auch, dass sein dauerndes Davonlaufen zum gemeinsamen Verführungsspiel, zur Steigerung der Spannung gehörte; eigentlich spielte sein Wunsch nach körperlicher Vollkommenheit mit ihm. Alles war festgeschrieben, was er jetzt sah oder voraussah, geschah hier jede

Weitere Kostenlose Bücher