Parallelgeschichten
Hain mit den Klosterruinen scharf von dem tiefwürzige Süße verströmenden Rosengarten trennte, gab es noch weitere verdreckte Stellen. Tagsüber verrichteten die Menschen auf den Pfaden der Nacht ihre Notdurft, ließen hier ihre in dringenden Bedürfnissen strampelnden und jaulenden Bälger oder ihre Hunde kacken und pissen, die Frauen wechselten im Notfall ihre durchgebluteten Wattebäusche aus. Wenn er nicht vor Aufregung seinen Geruchssinn verlor, das heißt, wenn nicht eine unerwartete Gefühlswallung diesen Sinn abstumpfte, kündigten sich ihm diese verdorbenen Gerüche von weitem an.
Nicht dorthin.
So weit ist es mit mir gekommen, schalt er sich unterdessen im Namen der Konventionen, ich versinke im Gestank von Kacke, Urin, Schweiß und Menstruation, zwischen scheißeverschmierten Papieren und blutigen Wattebäuschen umherstolpernd muss ich meiner eigentlichen, unverhüllten Realität ins Auge blicken.
Die Lust der selbstquälerischen Suche ersetzte die Lust an sich, obwohl er genau wusste, dass es eigentlich seine Brutalität war, der er mit dieser ewigen Sucherei so überschlau und sentimental auszuweichen wünschte. Dass er mit dem Anblick fremder Brutalität den Aufforderungen seiner eigenen Brutalität gerecht werden wollte. Nein, das durfte er nicht, sein Körper war unzufrieden, aber er ließ es nicht zu.
Sein tierisches Ich funktionierte parallel zu seinem sentimentalen.
Fremder Gestank sollte ihn nicht berühren.
Dann ging er eben nicht hier durch, sondern dort.
Aber wegen solcher Kleinlichkeiten konnte man doch nicht darauf verzichten, den eigenen Körper zu verstehen, und auch den Drang nach Erkenntnis gibt man nicht so einfach auf. Einmal meldete sein tierisches, dann wieder sein sentimentales Ich ein quälendes Mangelgefühl an, und da half kein moralischer Entscheid. Etwas, von dem er nichts wusste, konnte er nicht annehmen und sich zu eigen machen, und ablehnen konnte er es auch nicht, da er nicht einmal wusste, ob es zu seiner Persönlichkeit gehörte. Die lernte er ja erst jetzt kennen. Und was sollte er mit jenem eiskalten Ich anfangen, das weder mit dem einen noch mit dem andern seiner Leben zu tun hatte, weder mit dem sentimentalen Tagesleben noch mit dem tierischen nächtlichen, da es weder für das eine noch für das andere irgendwelche Gefühle hatte und Lüsten und Leiden gegenüber so gleichgültig blieb, wie ihm auch die allgemein akzeptierten Moralbegriffe egal waren.
Als hätte seine Seele oder sein Denken Eigenschaften, die außerhalb seiner Persönlichkeit standen. Jedenfalls hatten sie mit den in ihm tobenden Kämpfen, von denen am Ende abhing, in welcher Weise sich seine Persönlichkeit festigen würde, nicht viel zu tun.
Hände griffen im Dunkeln nach ihm, an seine Beine, fuhren ihm zwischen die Schenkel, um die Qualität seines Fleisches, den Zustand und vor allem die Größe seines Schwanzes zu prüfen. Jemand fasste ihn zärtlich beim Handgelenk, er sah das Gesicht nicht, mit seinem heißen Atem kam der ganz nahe und drückte ihn ihm plötzlich in die Hand, wobei er ihn mit nassen Lippen küssen wollte. Er wies ihn ab, wischte alles von sich. Aber das Heiße, das Feuchte, das durch Adern und das straffe Bändchen und die unter den Rand der Eichel gekrempelte Vorhaut stark Unterteilte des fremden Schwanzes war eine Empfindung, die er nicht mehr tilgen konnte, ebenso wenig wie das Gefühl, dass ihm ein anderer Mensch sein pulsierendes Schicksal in die Hand legte. Und so packte er ihn, wie ein Säugling seine Rassel. Und vergaß es nicht wieder, die Besonderheit, Einmaligkeit dieses Schwanzes war nunmehr ein Wissen. Erworben durch seine eigene vorsichtige, steife, erschrockene kleine Hand, wozu ein paar aufdringliche Männer und der Zufall genügt hatten.
Jeder Schwanz war anders als der andere, so wie auch ihre Träger, und Schwanz und Träger konnten überraschend verschieden sein. Hartnäckig kehrte die Erinnerung an diese Vorfälle wieder, aber er hätte nicht sagen können, was er eigentlich entdeckt hatte. Auch unter Menschen, die bekleidet waren, blieb dieses neue Wissen präsent. Er wusste von nun an, dass Kleidung etwas verbirgt, worüber jedermann wesentliche Erkenntnisse zu gewinnen sucht. Als hätte man ihm zusammen mit dem Männerschwanz gewaltsam den Stein der Weisen in die Hand gedrückt, und aus Dummheit wüsste er nichts damit anzufangen. Der Gedanke, einen fremden Menschen, einen fremden Mann zu berühren, seine Lippen, seine stoppelriechende Haut,
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