Parallelgeschichten
den sich in der ausdauernden Erektion absondernden, zu Glitschigkeit verhelfenden ersten Spermatropfen, der an allem kleben bleibt und Flecken hinterlässt, erfüllte ihn mit vagem Abscheu. Er scheute sich auch, seinen eigenen Schwanz genauer in Augenschein zu nehmen. Blickte beim Waschen instinktiv beiseite. In erigiertem Zustand war der so empfindlich, dass sich Lust und Schmerz nicht trennen ließen.
Seitdem er dieses Gebiet entdeckt hatte, musste er einfach wiederkommen, seinen ganzen unüberwindlichen Ekel, der seinem eigenen Körper nicht weniger als dem anderer Männer galt, immer aufs Neue reizen, herausfordern. Dem Körper von Frauen galt er nicht, seine Gefühle für die Frauen wurden von diesen Erlebnissen nicht berührt. Aber auch ihnen gegenüber konnte er sein neugewonnenes Wissen nicht ausblenden. Er hätte sich nur sehr schwer die Gewohnheit versagen können, tagsüber in die unterirdischen Aborte hinunterzusteigen und auch dort hellwach zu beobachten, während um ihn herum die Männer nur so taten, als würden sie Wasser lassen.
Auch er tat so.
Genau besehen hatte ich zwei unterbrochene Leben, sagte er sich später, das eine erwies sich als zu wenig, das andere versprach, zu viel zu werden, und in beiden fühlte ich mich unendlich fremd. Jetzt aber ist Schluss, ich wusste es, während ich vor dem älteren Mann davonlief, einem mächtigen, athletischen Typ, mit Schultern und Brust, die fast aus dem karierten Hemd platzten, Fäusten wie Hämmer. Bloß weg hier, so rasch wie möglich, wiederholte verzweifelt mein anderes Ich, als sei es eine Zauberformel. Zwischen den gelben Blüten des Goldregenhains auf den Uferweg zurück, dann bin ich gerettet.
Er lief aufs Licht zu, sah sich aufs Licht zurennen.
Es gab in seinem Leben keine Situation, in welcher der eiskalte Blick nicht dabei gewesen wäre. Ich komme nie mehr hierher, das schwor er diesem Blick. Ich kann doch nicht das Leben meiner Mutter wiederholen.
Da gelangte er plötzlich aus dem Dickicht hinaus.
Blieb am Ende des Pfads stehen, schnaufte laut und befreit. Gerettet.
Er atmete tief den schweren Wasserduft ein, er hatte gewonnen. Und wieder einmal musste er zur Kenntnis nehmen, dass der Augenblick alle seine Berechnungen durchkreuzte. Niemand versperrte ihm den Weg, niemand pflanzte ihm einen Kuss auf den Hals. Und das tat ihm jetzt doch leid. Das war so lächerlich, dass er sich noch mehr hätte schämen müssen, aber er hatte den Tiefpunkt seiner Scham schon erreicht. Auf dem schwarzen, gewalzten Schotter des Uferwegs knirschten keine Schritte. Eine gewöhnliche Nacht, von beiden Teilen der Stadt entfernt, zwischen den zwei mächtigen Flussarmen. Wenn doch bloß eine große Flut seinen Körper überschwemmen würde, mit sich reißen. Der Bauch, die Hoden taten ihm weh. Bestimmt war es schon sehr spät. Bestimmt waren wieder lange Stunden vergangen, in Minutenschnelle, denn hier rechnete er immer falsch. Noch eine halbe Stunde bewilligte er sich, dann würde er nach Hause gehen. Richtig rechnen konnte man nicht. Wieder einmal hatte er die Absicht, nach Hause zu gehen, nachdem er ja schon einiges erlebt und erfahren hatte, aber aus den immer von neuem bewilligten halben Stunden wurde rasch die ganze Nacht, und er hatte immer noch niemanden gefunden. Ich habe niemanden, werde auch nie jemanden finden. Er war durstig, verschwitzt, hungrig, er hätte zu einem der nahen Trinkwasserbrunnen gehen sollen, ausgedörrt, wie er war. Eine einzige Menschenseele, bat er, flehte er, wie ein Mönch.
Tiefer kann ich wirklich nicht mehr sinken, warnte er sich selbst.
Trotzdem konnte er den Kampf nicht aufgeben, auch wenn er nicht wusste, worum es ging.
Die Gaslaternen über dem ausgestorbenen Spazierweg leuchteten stumm und öd. Wieder hatte ihn sein Schicksal hereingelegt, oder er selbst hatte sein Schicksal übers Ohr hauen wollen. Am Pester Ufer leuchteten die Lampen über dem leeren Kai nicht weniger öde.
Über die ins ferne blaue Licht der fahlen Bogenlampen gespannte Margaretenbrücke kraxelte gerade die gelbe Nacht-Straßenbahn.
Niemand folgte ihm.
Beziehungsweise war der ältere Unbekannte, der aber nicht mehr als dreißig sein konnte, ihm bestimmt eine Weile gefolgt, hatte sein Geschnaufe gehört und war dann zurückgeblieben. Ist ja klar. Was für ein hoffnungsloser Kerl ich doch bin, wirklich ein blöder kleiner Arsch. Er bedauerte, dass sie ihn nicht erwischt, nicht zu Boden geworfen, es nicht mit ihm gemacht hatten. Jetzt ist es das,
Weitere Kostenlose Bücher