Parallelgeschichten
was mir leidtut. Aufgeschlitzt, blutig, von ihrem Sperma verdreckt würde er in verschmierten Ausscheidungen liegen, aber wenigstens hätte er mit seiner durchgeschnittenen Kehle alles hinter sich, dieses ganze verschissene, aussichtslose Leben. Dann mochte die Polizei kommen. Er kämpfte mit dem Unbekannten, rang mit sich selbst. Es reicht nicht, dass ich als Jude geboren bin, es reicht nicht, dass ich keine Eltern habe, schwul muss ich auch noch sein. Wozu war er geboren, er verstand es nicht und wusste, dass er sich zum Glücklichsein vom Leben trennen müsste, da es nichts für ihn bereithielt. Und nicht einmal das stimmte. Gerade das war sein Problem, dass er mit seinem Leben irgendwo im Zwischenbereich stecken geblieben war. Wenn er doch wenigstens wirklich als Jude geboren wäre, aber seine Mutter stammte aus einer erzkatholischen Familie. Wenn er doch wenigstens wirklich eine Waise wäre, sein Vater war ja tatsächlich von den Kommunisten umgebracht worden, von seinen kommunistischen Genossen, aber seine Mutter hatte ihr leibliches Kind ganz einfach verlassen.
Dafür hätte er sich wahrhaftig bemitleiden können, aber eigentlich zog er vor, ohne eine solche miese Mutter zu leben.
Niemandem bedeutete dieses Leben, das er mit seiner Geburt erhalten hat, irgendetwas, so wenig wie ihm selbst. Die Gelegenheit ist günstig, morgen ist es zu spät, ich muss es heute erledigen. Seit Monaten beherrschte ihn der Gedanke, er müsse sich aus reiner Nächstenliebe aus dem Kreis der Lebenden hinausbefördern. Wenn die aus den Tiefen der Nacht auftauchenden und wieder darin versinkenden Gestalten nicht in seiner Nähe waren, erschienen ihre Grobheit und Rücksichtslosigkeit in seiner schmutzigen Phantasie doch als etwas höchst Begehrenswertes, als der letzte Strohhalm. Oder sie existierten gar nicht. Er war schon drauf und dran, sie für eine durch die Qualen fehlender Befriedigung bewirkte Sinnestäuschung zu halten. Keiner von ihnen existierte, weder der dunkelhäutige, langsam schreitende, wunderbare Riese, der wahrscheinlich ein Zigeuner war, oder zumindest ein halber, noch sein nach Vorstadt aussehender Gehilfe mit dem struppigen Haar und dem beidseits der Lippen herunterhängenden ungarischen Schnurrbart; er rannte in einer leeren Welt vor sich selbst davon. Alles andere bloße Einbildung. Einbildung die düsteren, mit Blechkuppeln versehenen Häuser des anderen Ufers, die zu dieser Stunde von den schwachen Lichtern des Újpester Kais nur knapp beleuchtet waren. In einigen Wohnungen brannte, so schien es, noch Licht, und der leicht bewölkte Himmel warf den mit Rot und Gelb angereicherten Widerschein der Stadtbeleuchtung zurück.
Kulissen, alles nur düstere Kulissen, in Wirklichkeit steht er auf dieser leeren Insel zwischen den zwei Wassern allein.
Einigermaßen geschützt durch seine Phantasie.
Eine Flut, die ihn immer von neuem überschwemmt und wegstrudelt, trotzdem wird er nie jemanden haben, so viel ist ein Menschenleben wert.
Leichte Lüfte berührten seine verschwitzte Haut unter dem schwarzen Hemd.
Ich bin nicht, sagte er halblaut, ich werde auch nie sein.
Wenn ich am Leben bleiben will, fügte er für sich hinzu, muss ich mich daran gewöhnen, dass ich nicht bin, sagte er wieder halblaut.
Vor ihm wälzte sich mit langen zitternden Lichtstreifen und mit seinen Gerüchen der Hochwasser führende Strom. Geräuschlos, der Wellengang hatte aufgehört. Die stufenförmig ausgebauten Ufer wurden von keinem Schwappen mehr berührt. Unter Wasser allerdings schaukelte mit lautem Schlucken der an die Stufen gepappte Tang. Die zwei Schlepper, die sich zuvor mit ihren bedenklich eingetauchten Kähnen und dem Lärm, der das steinige Flussbett erzittern ließ, hier gekreuzt hatten, waren jetzt mitsamt ihrem lauten Getute schon fern. Das Stampfen des einen war von irgendwo im Norden zu hören, jenseits der schwach beleuchteten Árpád-Brücke, das des anderen aus der Gegenrichtung, vielleicht von den kriegsversehrten Stümpfen der Elisabethenbrücke widerhallend.
Dieses in verschiedenen Lagen stampfende Dröhnen stand noch in der dunstigen Luft, und zwischen den Ufern war auch etwas Ölgeruch hängengeblieben.
Manchmal war er der festen Überzeugung, sein Wesen bestehe aus nichts als aus dem Hören, Riechen, Sehen, mit denen er anderen nachspürte. Die es vielleicht ebenso wenig gab oder genauer, die bei der Berührung ihre betörende körperliche Existenz vielleicht sofort verloren.
Der physische Zauber der
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