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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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beten konnte er nicht, dass er nicht in die Zukunft sah, wo auch er ermordet würde. Eines Nachts hatte er vors Haus hinausgeschaut, weil da jemand herumschlich, er hatte es gehört. Ein lebendiger Ermordeter war er, der nicht mehr zwischen den Leichenbergen heraussah. Blut klebte an den umherflatternden Daunenfedern, niemand begrub ihr Blut separat, und niemand erfuhr, welche Schmuckstücke man ihnen geraubt hatte. Auch dem Jakab konnte er ja nicht schreiben, mein lieber Sohn, die und die Schmuckstücke bringen wir mit, er durfte es nicht schriftlich festhalten, Geschriebenes kann jedem in die Hände fallen. Auch der Marika konnte er nicht verraten, was sie für Schmuck bei sich haben würden, es musste völlig geheim bleiben, sonst wäre zwischen den Geschwistern die Eifersucht ausgebrochen, die sowieso schon dauernd schwelte. So würde ihr furchtbares Leben enden. Vor dem Thron des Ewigen zu Boden geneigt dankte er im Voraus dafür.
    Der Ruhm des Barmherzigen vergeht nicht, sein Reich ist im Licht.
    In Wahrheit mochte er nicht daran denken, dass ihn sein eigener Sohn ausrauben würde, weil er ihm notgedrungen mehr nachgab und mehr schenkte.
    Er horchte, wo seine Frau gerade herumkramte, die, die wegen des Schmucks demnächst umgebracht würde.
    Am meisten entsetzte ihn der Gedanke, dass ihre Körper verstümmelt würden, unbestattet ihr Blut. Die Ringe würden sie ihnen mitsamt den Fingern abschneiden. Als er plötzlich die Tür aufgerissen hatte, waren da nicht vielleicht die Übeltäter mit offenen Säcken durch die Nacht gekommen. Er würde nicht von seinem verstümmelten Fleisch auferstehen können, um für seine Seele das Notwendige zu tun. Als wäre in der Zwischenzeit nichts geschehen, hingen im dämmerigen Flur seine Hüte von den Haken. Sein breitkrempiger, glänzend schwarzer Hut für die Feiertage, seine reich bestickte Kippa, sein schwarzer Alltagshut und auch der abgewetzte fettige Hut, den er zur Arbeit trug und den er am Morgen beim Aufstehen anstelle seiner Kippa auch heute hätte aufsetzen sollen.
    Wie ein Dieb nahm er seine eigene Kippa vom Haken im Flur, verschwand damit in der Tiefe des Hauses.
    Täglich etwa ein Dutzend Mal machte er sich glauben, er könne dieses eine Mal dem Wahn seiner Frau ausweichen.
    Die Türen öffnete er vorsichtig, er achtete darauf, dass die beim Großreinemachen im Frühling und Herbst faserig geschrubbten, grau gewordenen Planken des Fußbodens keinen Laut von sich gaben. Bestimmte Stellen knarrten, trotz aller Vorsicht, weil die Lagerbalken darunter morsch waren. Wie er im unberechenbaren Labyrinth des geräumigen Hauses durch Zimmer und Korridore nach innen unterwegs war, wurde die Leere zwischen den jedes kleine Geräusch zurückwerfenden Wänden immer dunkler.
    Die dunkelbraun lackierten Fensterläden waren geschlossen, nur durch die Ritzen des alten Holzes drang etwas Licht.
    Gottlieb setzte sich die Kippa auf und beruhigte sich ein wenig im vertrauten Dunkel, in dem mit weißen Schutzhüllen versehene Möbel dämmerten, und seine Sünden rückten an ihren gewohnten Platz. Er meinte auch die Ahnen deutlich zu hören, die der Ansicht gewesen waren, wenigstens in unseren Heimen und Tempeln wollen wir vor dem Barmherzigen freie Menschen bleiben. Wenn du dir morgens beim Aufstehen das Haupt bedeckst, mag der Tag bringen, was er will, du hast dir den heiligen Himmel zum Schutz ausgebreitet. Sie hatten in diesen geräumigen Zimmerfluchten schon immer so gelebt, wie es dem Herrn gefällt, um seinen furchtbaren Zorn nicht herauszufordern. Möbel gab es fast keine, nur das Wichtigste, ein Bett, einen Tisch, Stühle, das mochte genügen, und auch das vom Billigsten, aus angestrichenem oder groblackiertem Tannenholz sollen sie sein. Es gab zwar einige bessere Teppiche, die lagen sorglich in Packpapier gerollt an den schmucklosen Wänden entlang. Wenn beim Großreinemachen oder an höheren Feiertagen die Fensterläden doch geöffnet, die Hüllen von den billigen Kronleuchtern und den pflichtschuldig dunklen Möbeln genommen und die Teppiche ausgelegt und glatt gestrichen wurden, zum Empfang von Verwandten und Bekannten, tat sich Ármin Gottliebs Haus durch seine Sauberkeit und Kargheit hervor.
    Da wohnt ein Jude, Gottlieb liebte dieses Bewusstsein zärtlich, der nicht mit unnötigen Dingen protzt, nicht das Schicksal herausfordert und keinen einzigen Augenblick vergisst, was er seinem Allmächtigen schuldet.
    Er schluchzte auf vor schmerzlicher Freude, wenn er nach den

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