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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Festen in der sonnendurchfluteten, herben Leere plötzlich allein blieb. Bald tauschte er seine reich bestickte Kippa gegen die gewöhnliche aus, und der uralten Pflicht der Entsagung gehorchend, ging er von Zimmer zu Zimmer, um die braunen Fensterläden wieder sorgfältig zu schließen.
    Einen hellen Raum hatte das Haus, die auf den von Brandmauern umschlossenen kleinen Hof gehende, verglaste Holzveranda.
    Ganz am Rand dieses Hofs, mit ein paar spärlichen Grashalmen am Fuß der Mauern, stand, an den Stützpfeiler der Mauer gelehnt, die ausladenden Äste hoch und weit über die Dächer hinausstreckend, ein Essigbaum, eine
Rhus hirta
, das anspruchslose Gewächs der Halbwüste, des Mittelmeers und der Subtropen, das im Gegensatz zu den in Mohács heimischen Bäumen seine Blätter erst Anfang Juni ganz öffnete und seine herb riechenden Rispen behutsam zu samtigen Blüten aufknöpfte. Wenn er allein sein durfte, saß Gottlieb gern hier auf einem lackierten Hocker, und zwischen zwei rituellen Gebeten sagte er sonstige Gebete auf oder las in seinen in weinrotes Halbleder gebundenen Gebetbüchern, in den sechsbändigen Gebeten für die Hohen Feiertage oder den Gebeten für Wochentage. Jetzt hingegen hatte er sich kaum gesetzt, kaum ein Gebetbuch, zwischen dessen Seiten, bedruckt mit dem hebräischen Text, der ungarischen Übersetzung und ungarischen Fußnoten, Hunderte von Hinweiszetteln und Buchzeichen steckten, auf gut Glück aufgeschlagen, kaum hatte er die Ellenbogen aufs Fenstersims gestützt, um es sich zum Lesen ein klein wenig bequem zu machen, als im dunklen Türrahmen schon seine Frau erschien.
    Sie kam wie ein Schatten, der sich lautlos vors Licht schiebt.
    Sie denken wohl, ich weiß es nicht, Sie meinen wohl, ich weiß nicht, warum Sie so früh von Ihrem berühmten Holzlager zurückkommen, sagte sie gehässig, verächtlich und vorwurfsvoll, schluchzte dann fast auf, konnte kaum die bitteren Tränen zurückhalten.
    Ich weiß es doch, weiß es wohl. Hätte es im Voraus schon wissen sollen, dass Sie mich wieder hereinlegen und früher nach Hause kommen werden.
    Wenn es nur einen Tag gäbe, an dem Sie zur richtigen Zeit kommen, wie würde ich da aufatmen.
    Barmherziger, wiederhole ich den ganzen Tag, der Unglücksmensch meint wirklich, er könne seine Vergesslichkeit vor mir verheimlichen. Auf Ihr Mittagessen müssen Sie natürlich noch warten. Ich weiß schon, was Sie zu Hause vergessen haben, aber ich werde niemandem erzählen, was ich von Ihnen weiß. Wie sollte ich es auch wissen, weiß es nicht, wie viel Uhr ist es denn, wieder ist der Küchenwecker kaputt, den haben Sie auch nicht zum Uhrmacher gebracht, aber dieses Mal ist Ihnen Ihre Vergesslichkeit sehr schlecht bekommen, dass Sie schon wieder ohne Hut ausgehen, das ist unerhört. Sie sind nach Hause gekommen, wir wollen nicht davon reden, weswegen, aber Ihr Mittagessen ist nicht fertig. Sie haben doch gesagt, ich komme spät, Margit. Jetzt wird es für Sie also spät werden, da haben Sie sich umsonst so beeilt. Unglücksmensch. Sie sind ein unglücklicher Mensch. In so kurzer Zeit haben Sie auch mit Ihren Papieren nicht fertig werden können. Alles Schlimme, das Sie in Ihrem Leben je getroffen hat, verdanken Sie sich selbst, denn Ihr ganzes Leben lang haben Sie sich unglücklich verhalten, sich Ihr ganzes Leben lang mehr für Ihr berühmtes Holzlager, mehr für Ihre gesägten Bretter interessiert als für Ihre wunderschöne Familie.
    Sie sind gar kein Jude.
    Schämen Sie sich mitsamt Ihren Papieren.
    Mit diesem leisen, im Grunde gleichmütigen und monotonen Reden leierte sie eigentlich einen ihr fremden Text herunter, ein wenig schelmisch; den Kopf kleinmädchenhaft seitwärts geneigt, den Blick von Hass und Verachtung erfüllt, betrachtete sie mit Augen, die von zu viel Schlaf verquollen waren, den in ihre Wohnung verirrten widerlichen Fremden, den sie nach den rituellen Vorschriften mit dem fertigen Mittagessen zu erwarten hatte, jemanden, mit dem sie angeblich seit vierzig Jahren in glücklicher Ehe lebte, dem sie drei wunderschöne Kinder geboren und glücklich großgezogen hatte, von dem sie aber insgeheim immer noch dachte, dass sie ihn vom Sehen kannte, aber nicht zu heiraten wünschte, denn der ist ja kein Jude, ein Jude benimmt sich nicht so, den zu heiraten würde ihr nicht im Traum einfallen, um keinen Preis, das würde sie ihrer Mutter, gesegnet sei ihr Angedenken, ausreden, hoffentlich würde wenigstens ihr geliebter Vater ihre Argumente

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