Parker Pyne ermittelt
»Lehnen Sie sich einfach zurück. Sie hatten gerade ein furchtbares Erlebnis.«
Sie lächelte ihn dankbar an.
»Übrigens – ähem –, mein Name ist Wilbraham.«
»Ich heiße Clegg – Freda Clegg.«
Zehn Minuten später saß Freda an einem kleinen Tisch, trank eine Tasse heißen Tees und sah ihrem Retter dankbar in die Augen.
»Es kommt mir fast wie ein Traum vor«, sagte sie. »Ein schlechter Traum.« Sie erschauderte bei dem Gedanken. »Und noch vor kurzer Zeit hatte ich den innigen Wunsch, dass doch endlich etwas geschehen möge – irgendetwas! Oh, ich mag Abenteuer nicht.«
»Erzählen Sie mir, was geschehen ist.«
»Nun, um Ihnen das zu erklären, muss ich viel über mich erzählen. Ich hoffe, das stört Sie nicht.«
»Das ist ein ganz ausgezeichnetes Thema«, sagte Wilbraham mit einer leichten Verbeugung.
»Ich bin ein Waisenkind. Mein Vater war Kapitän zur See und starb, als ich acht Jahre alt war. Meine Mutter verstarb vor drei Jahren. Ich arbeite als Angestellte in London bei der Vacuum Gas Company. Als ich letzte Woche abends nach Hause kam, wartete ein Gentleman auf mich, der sich als Anwalt aus Melbourne vorstellte. Ein Mr Reid.«
»Er war sehr höflich und stellte mir mehrere Fragen über meine Familie. Er erklärte mir, dass er und mein Vater sich vor vielen Jahren kennengelernt hatten. Er hatte offensichtlich einige rechtliche Angelegenheiten für ihn erledigt. Dann erzählte er mir den Grund für seinen Besuch. Miss Clegg‹, sagte er, ›ich gehe davon aus, dass Sie die Nutznießerin eines Finanzgeschäfts Ihres Vaters sein könnten, das er mehrere Jahre vor seinem Tod abgeschlossen hat.‹ Ich war natürlich sehr überrascht.«
»›Es ist recht unwahrscheinlich, dass Sie jemals davon erfahren hätten‹, erklärte er mir. ›John Clegg hat die gesamte Angelegenheit nie wirklich ernst genommen. Es hat sich jedoch unvermutet als erfolgreich erwiesen. Sie werden Ihren Anspruch aber nur geltend machen können, wenn Sie im Besitz gewisser Papiere sind. Diese Papiere gehören zum Nachlass Ihres Vaters, und natürlich besteht die Möglichkeit, dass sie als wertlos vernichtet wurden. Haben Sie zufälligerweise irgendwelche Papiere Ihres Vaters aufbewahrt?‹«
»Ich erklärte ihm, dass meine Mutter verschiedene Besitztümer meines Vaters in einer alten Seetruhe aufbewahrte. Ich hatte mir sie nur kurz angesehen und nichts Interessantes bemerkt.«
»›Sie würden die Bedeutung dieser Dokumente vermutlich nicht erkennen‹, sagte er mit einem Lächeln.«
»Nun, ich durchsuchte die Truhe erneut, nahm die wenigen Dokumente mit, die sie enthielt, und brachte sie zu ihm. Er schaute sie durch, sagte aber, dass es unmöglich wäre, aus dem Stegreif zu bestimmen, ob sie nun mit dem Sachverhalt zu tun hätten oder nicht. Er würde sie mit sich nehmen und mir Bescheid geben, sollte er dabei etwas entdecken.«
»Als ich am Samstag meine Post abholte, erhielt ich einen Brief von ihm, in dem stand, ich solle dieses Haus aufsuchen, um mit ihm die Angelegenheit weiter zu erörtern. Er nannte mir die Adresse: Whitefriars, Friars Lane, Hampstead. Ich sollte um Viertel vor elf dort sein.«
»Ich habe etwas zu lange gebraucht, um die Adresse zu finden. Ich rannte durch das Gartentor und zum Haus, als plötzlich diese beiden furchtbaren Männer aus dem Gebüsch hervorsprangen. Einer presste mir die Hand auf den Mund. Ich habe meinen Kopf freibekommen und um Hilfe schreien können. Glücklicherweise haben Sie mich gehört. Wenn Sie nicht gewesen wären – « Sie hielt inne. Ihr Gesichtsausdruck sagte mehr als tausend Worte.
»Ich bin froh, dass ich rechtzeitig zur Stelle war. Bei Gott, ich hätte mir diese beiden Wüstlinge gerne vorgeknöpft. Sie haben sie noch nie zuvor gesehen, nehme ich an?«
Sie schüttelte den Kopf. »Was hat das Ihrer Meinung nach zu bedeuten?«
»Schwer zu sagen. Aber eine Sache scheint mir ziemlich gewiss. Jemand will etwas aus dem Nachlass Ihres Vaters haben. Dieser Kerl namens Reid hat Ihnen ein Lügenmärchen aufgetischt, um sich die Gelegenheit zu verschaffen, den Nachlass durchstöbern zu können. Offensichtlich war das, wonach er gesucht hat, nicht dabei.«
»Oh!«, sagte Freda überrascht. »Das lässt viele Dinge in einem neuen Licht erscheinen. Als ich am Samstag nach Hause kam, hatte ich den Eindruck, dass sich jemand an meinen Sachen zu schaffen gemacht hatte. Um ehrlich zu sein, hatte ich meine Vermieterin verdächtigt, mein Zimmer aus purer Neugier durchsucht zu
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