Partnerschaft und Babykrise
geformt wurde.
In der menschlichen Entwicklung gibt es kaum instinktive Einflüsse, die ohne formendes Lernen das Verhalten prägen. Erbanlagen und Umwelt mischen ihre Wirkungen. Die existenzielle Bedeutung der Mutterschaft verschließt zusätzlich den experimentellen Weg, mit dessen Hilfe solche Fragen in Tierversuchen bearbeitet wurden.
Eine verlässliche Quelle mütterlichen Verhaltens in den Erbanlagen ist bei den Primaten unwahrscheinlich. Prägend für unsere Fähigkeiten zur Elternschaft scheinen eigene kindliche Erfahrungen von Bemutterung zu sein. Rhesusaffen, die an Attrappen großgezogen wurden, behandelten ihre Neugeborenen wie ein Stück Holz. Ein Pionier ist hier der Amerikaner Harry F. Harlow. Er hat nicht nur in Mehrgenerationenversuchen an Rhesusaffen gezeigt, wie ausgeprägt die sozialen Störungen früh traumatisierter Primaten sind. Er hat auch dokumentiert, wie sie sich auf die nächste Generation auswirken.
Harlow zog mit Hilfe von Attrappen Rhesusäffchen groß, die äußerlich gediehen. Er konnte nachweisen, dass die Affenkinder
kuschelige Stoffattrappen mehr »liebten« als Attrappen aus Draht. Wenn sie geängstigt wurden (indem die Forscher eine bedrohliche Plastikspinne in den Käfig legten), dann suchten die mit Stoffattrappen aufgezogenen Äffchen sofort dort Zuflucht. Hatte man die Stoffattrappe entfernt, rannten sie dorthin, wo sie zuletzt gewesen war, liefen dann schreiend von einer Wand des Käfigs zur anderen, packten endlich ihren eigenen Körper, verharrten in gekrümmter Stellung. Solange sie sich an die Stoffmutter klammern konnten, waren sie »mutiger«.
Aus dem körperlichen Gedeihen und dem relativen »Trost« der Affenbabys durch die Stoffmutter könnte man erschließen, dass Kuscheldecke und Flasche die Mutter ersetzen. Aber bereits Rhesusaffen sind ein Modell für das, was in der Psychoanalyse heute als Frühstörung diskutiert und mit Defiziten an interaktiver Stimulation und Spiegelung verknüpft wird.
Die isoliert aufgewachsenen Äffchen blieben kontaktgestört. Sie zogen sich zurück, schaukelten autistisch, rollten sich zusammen und stellten sich tot, zupften an Hautstücken, bis sie bluteten, bissen in ihre Pfoten, rissen sich Haare aus – ein ganzes Repertoire an selbstschädigendem Verhalten, vergleichbar den Selbstverletzungen, dem Nägelkauen und Haareausreißen menschlicher Patienten.
Die Äffchen blieben, wenn man sie mit »normal« aufgewachsenen Artgenossen zusammenbrachte, ängstlich, sie spielten nicht und wehrten sich nicht. Besonders ausgeprägt waren die Störungen des Sexualverhaltens: die isoliert aufgewachsenen Tiere konnten sich nicht paaren. Sie verstanden entsprechende Angebote als Angriff, wurden aggressiv oder flohen. Diese
Störungen waren bei den Affen besonders ausgeprägt, die mit Drahtattrappen großgezogen wurden.
Unter den Bedingungen des Lebens in freier Natur hätten sich die isoliert aufgewachsenen Affen nicht fortgepflanzt. Sie wurden schließlich auch von den geduldigsten Sexualpartnern stehen gelassen. Erst in besonderen Brunftkäfigen gelang es Harlow, doch noch für Nachwuchs zu sorgen. Jetzt wurde ein weiterer Schaden im Verhaltensrepertoire deutlich: Die isoliert aufgewachsenen Affen waren tödliche Mütter. Ihre Erstgeborenen wären sämtlich umgekommen, wenn sie nicht den Müttern weggenommen, künstlich ernährt und erwärmt worden wären. Einem Neugeborenen wurden gleich nach der Geburt sechs Finger abgebissen, ehe die Wärter es retten konnten.
Die Verhaltensbiologen der Harlow-Gruppe waren sehr überrascht, als die »tödlichen« Mütter ein zweites Kind bekamen. Sie verhielten sich jetzt ganz normal; offensichtlich waren ihre mütterlichen Kompetenzen nachgereift. Auch Affen, die zwar mutterlos aufgezogen worden waren, aber Kontakt mit Artgenossen hatten, blieben von den massiven Verhaltensstörungen der isolierten Tiere weitgehend verschont. Sie banden sich nur viel enger an ihre Spielkameraden, als es die unter naturnahen Bedingungen aufgewachsenen Tiere tun.
Im Tierexperiment haben sich auch einige Gesichtspunkte zur Frühstörung erarbeiten lassen, die mit dem Reifen von Bindung und von Angst zusammenhängen. Angst ist biologisch sinnvoll, aber kleine Rhesusaffen »brauchen« noch keine Angst, weil sie immer im Fell der Mutter hängen. Die Angstreaktion reift normalerweise nach den ersten Lebensmonaten. Vorher muss der kleine Affe etwas lernen, was er nicht instinktiv kann, sondern
unter natürlichen
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