Anne Frasier
Prolog
Er drehte die Scheibe des Kombinationsschlosses zügig, denn er hatte es schon so oft getan. Im Uhrzeigersinn auf die 26, dann eine volle Drehung im Gegenuhrzeigersinn, bis er bei der 10 stoppte, schließlich wieder im Uhrzeigersinn zur 18. Er vernahm das bekannte Klicken und drückte das Schloss nach unten, schaute mit fast sexueller Erregung zu, wie es sich öffnete. Er zog den Bügel durch die Löcher des Blechs und öffnete den Spind; die Tür gab dabei ein zufriedenstellendes metallisches Geräusch von sich.
In diesem Spind bewahrte er seine Andenken auf. Er hatte den Schrank bei einer Auktion gekauft, er stammte aus der Sporthalle einer Highschool, die geschlossen worden war. Er war groß und hatte Haken, an die man seine Sachen hängen konnte, und Fächer, in die man Kleinigkeiten legen konnte.
Mit beiden Händen griff er hinein und zog sein Scrapbook - das Album - heraus.
Scrapbook war eigentlich kein gutes Wort dafür, denn scrap hatte einen negativen Beigeschmack. Erstens bezeichnete scrap etwas, das man ab- oder herausgerissen hatte, etwas Übriggebliebenes, wie Essensreste oder Altmetall. Zweitens: Wenn man das S wegnahm, blieb einem nur crap - Dreck.
Doch das Buch, das er mit beiden Händen hielt, war mehr als Dreck, viel mehr. Es war sein Schatzbuch, sein Leben.
Er ging langsam rückwärts, bis seine Waden die Metallfedern seines Bettes berührten, die weiche Kante der Matratze. Er setzte sich hin, sein Schatzbuch im Schoß, die Knie aneinandergepresst, um das Gewicht des Buches zu stützen, die Füße auf den Zementboden des Kellers gestellt.
Es war eines der Alben, die man in jedem Billigladen bekam. Eines von denen, die junge Mädchen unter ihren Betten versteckten und hervorzogen, um sie ihren besten Freundinnen zu zeigen. Seines war elfenbeinfarben und am Rand bereits vergilbt, denn er hatte es schon so lange. In goldenen Buchstaben stand SCRAPBOOK darauf.
Es ärgerte ihn, dass es so vergilbt war. Er wünschte, das wäre nicht so. Aber er konnte sich auch kein neues Album besorgen. Das wäre nicht dasselbe.
Er schlug das Buch auf.
Auf der ersten Seite klebte das Foto einer jungen Frau, die auf einem Krankenhausbett saß, ein Baby in den Armen, und in die Kamera lächelte. Er fuhr sanft mit einem Finger über das Foto, über das Gesicht der Frau, er streichelte das kleine Babybündel, bevor er umblätterte.
Erinnerungen.
Der Führerschein der Frau. Ihr kleines Büchlein mit Adressen und Telefonnummern. Supermarkt-Abzüge von Fotos mit Leuten, die er nicht kannte, vor künstlichen Weihnachts-Hintergründen. Was damals rot gewesen war, schimmerte nun orange, was bewies, dass man im Supermarkt keine wirklich guten Angebote bekam.
Die Leute waren so dumm.
Sie stanken, und sie waren dumm.
Auf der nächsten Seite eine Polaroidaufnahme seines ersten Mordes, aufgenommen in dem Park, wo er sie zurückgelassen hatte. Sie war schon tot gewesen, als er sie für die Kamera hatte posieren lassen. Und da sie eine Hure war, hatte er ihr Kleid hoch- und ihren Schlüpfer heruntergezogen. Sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt, so hatte er sie hindrapiert, die andere strich in einer lasziven Geste durch ihr Haar.
Er hatte versucht, sie zum Lächeln zu bringen, hatte versucht, ihre Lippen von den Zähnen wegzuziehen, aber ihr Ausdruck verrutschte immer wieder zu einer Art Grimasse.
Bei seinem nächsten Mord brachte er Klebeband mit, um den Mund so zu fixieren, wie er ihn wollte.
Um ihren Hals hing die Opal-Kette, die er seiner Mutter geschenkt hatte. Sie trug sie immer. Das machte ihn glücklich und ließ es in seiner Lendengegend kribbeln. Er drückte den Rücken des Buches an sich.
Er blätterte weiter, las die vergilbten Ausschnitte aus den Zeitungen. Der Madonna-Mörder.
Madonna. Mutter und Kind.
Diese Frauen waren keine Jungfrauen, sie waren Huren. Huren! Er war die unberührte Jungfrau. Er war die unbefleckte Geburt.
Die Kuh oben hatte ihn nicht geboren. Er konnte nicht aus ihrer Gebärmutter gekommen sein. Nicht bei ihrer Blödheit, ihren TV-Gameshows, ihrer ekelhaften Dämlichkeit.
Er blätterte weiter, bis er ein Foto fand, das er aus einer Zeitung ausgeschnitten hatte. Ein Foto, das die Zeitung aus ihrem Schuljahrbuch entnommen hatte.
Ihr Haar war lang, blond und glatt, ihr Lächeln allumfassend wie das einer Cheerleaderin.
Das war kein befriedigender Mord gewesen. Sie hatte ihn seines Vergnügens beraubt, und dadurch hatte sie ihn in Verwirrung gestürzt, hatte ihn in den
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