Pas de deux
speziell«, sagte ich und zuckte mit den Schultern.
Und darauf kehrte ich ihr den Rücken, denn plötzlich erschien es mir weniger peinlich, unwissend zu bleiben, als zum Wissen vorzudringen und für einen Trottel gehalten zu werden. Wie kam es, daß ich nichts mitbekommen hatte?! Hatte ich zufällig, als es darauf ankam, wach zu sein, die Augen verschlossen und mir die Ohren zugehalten?! Ich war überzeugt, jeder Blödmann in der Gegend wußte seit ewig Bescheid. Ich hatte das Gefühl, vor einem unüberwindbaren Schlund zu stehen, über den jeder andere ohne großes Getue hinwegschritt. Mir fiel ein, was mir ein Lehrer einmal geantwortet hatte, bei dem ich mit meinen Talenten hatte Eindruck schinden wollen, um mich interessant zu machen und um gewisse Schwächen, die ich im Kopfrechnen aufwies, zu kompensieren. »Wofür hältst du dich, mein junger Freund?!« hatte er mir ins Gesicht gesagt. »Glaubst du, es wird dir von großem Nutzen sein, das Konzert für die linke Hand spielen zu können, wenn du einkaufen gehst? Glaubst du, deine Hirngespinste über action painting und die Theorien deines Delsarte, der die meisten völlig kaltläßt, werden dir helfen, wenn du dein Wechselgeld nachrechnest?! Lerne zu gehen, bevor du anfängst zu laufen … Vergiß nicht, daß es das Fundament ist, welches das Haus trägt!« Ein Typ, einfach zum Kotzen, stets bereit, mit einer dieser bleiernen Wahrheiten herauszurücken, die das Leben langweilig und brutal machen. Aber ich sah ihn vor mir, sah, wie er lächelte und kopfschüttelnd all diese hübschen Frauen beobachtete, denen ich mich nähern durfte, sofern wir nicht gar unter einem Dach wohnten, und er sagte zu mir: »Meine Güte, du kennst vielleicht einen winzigen Ausschnitt … Aber was weißt du eigentlich genau?!«
Dieser Gedanke deprimierte mich für einen Moment, dann verdrängte ich ihn und beschloß, ein wenig in den oberen Stockwerken herumzulungern. Ich überlegte, ob ich Oli mitnehmen sollte, ließ dabei meinen Blick zerstreut über die Anwesenden schweifen, bis er erneut auf Edith fiel. Und das so gerade eben noch …
Georges streckte einen Arm nach mir aus, aber ich war außer Reichweite. Ich war nicht dazu da, mich auf den Boden zu setzen, an der Wand zu lehnen und das gleiche flatterhafte Gesicht wie der Rest der Bande zu machen. Ich war da, Alarm zu schlagen.
»He … Es geht um Edith … Sie ist gerade mit ’nem Typen raus, kein Quatsch!«
Meine Worte schienen nur unter größten Schwierigkeiten in seinen Schädel zu dringen, aber ich hielt mich bereit, sie ihm in die Ohren zu grölen, wenn ihm das weiterhalf. Ich hatte ohnehin größte Lust dazu, so sehr regte mich seine lahme Reaktion auf. Ich wandte einen Moment den Kopf ab, um ihn zu verfluchen. In dem Tempo brauchte er bestimmt noch eine Viertelstunde, um sich aufzurappeln, und mindestens genausoviel, um durchs Zimmer zu gehen. Ich hörte, daß meine Zähne knirschten, und im gleichen Augenblick erblickte ich Ediths Typen, der sich am andern Ende des Buffets mit jemand unterhielt, aber nicht mit Edith.
Und dieser Anblick haute mich um. Leicht benommen ließ ich mich neben Georges zu Boden gleiten. Froh, daß ich mich zu ihm gesellte, schenkte er mir ein glasiges Lächeln, und wie eine Blume, die sich unter der zarten Berührung des frühen Morgens öffnet, streckte er genüßlich seine Beine aus.
Er seufzte vor Wohlbehagen.
»Ich hab nicht so ganz verstanden, was du mir da von Edith erzählt hast …«, murmelte er und beugte sich zu mir hinüber.
»Nichts!« sagte ich und umschlang meine Beine.
Dann drückte ich das Kinn auf meine Oberschenkel.
Als die Sonne aufging, saßen wir in ihrem Zimmer, auf ihrem Bett, und rauchten starke Zigaretten, die wir kaum inhalieren konnten, die jedoch den Raum hübsch verzierten. Oli war nach langem Kampf gegen den Schlaf mit halboffenen Augen eingenickt, in einer Haltung, die sein Gesicht verunstaltete: er lag auf dem Bauch, den Kopf so auf den Unterarm gestützt, daß er über den Handteller abrutschte und sich sein halbes Gesicht zu einer fürchterlichen Fratze verzog. Bis zum Schluß hatte er versucht mitzubekommen, was Edith und ich einander zu sagen hatten, dann hatte ihn die Müdigkeit übermannt und im Schlaf erstarren lassen.
Unten lief noch Musik – und zwar Ruby, my Dear von Monk, was darauf schließen ließ, daß Georges noch nicht stocksteif in einer Ecke lag. Das Haus hatte sich zu dreiviertel geleert, aber das letzte Häuflein hielt sich
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