Passwort in dein Leben
wegwerfen.«
Ich fahre hoch.
»Was …?«, stottere ich. »Aber warum?«
»Erstochen und dann in den See geworfen«, erklärt er.
Ich starre ihn einfach nur an.
Er ist hässlich. Nicht nur unscheinbar. Nein, hässlich.
»Deine Unterhaltung mit meiner Schwester. Du erinnerst dich bestimmt daran?«
Ich schüttle den Kopf.
»Es ging um den Namen für das Vieh. Du hast gesagt, es wäre zu süß und lieb, um Ralf zu heißen!«
Er hat recht. Clara meinte, es solle Ralf heißen, auch wenn es weiblich ist, weil es genauso dämlich schauen würde wie ihr Bruder. Dabei war sie nur neidisch, weil sie kein Tier haben durfte. Ihre Mutter ist nämlich allergisch gegen Tierhaare. Sie bekommt davon Asthma.
»Als Erinnerungsstütze!«, sagt er und greift hinter sich. In seiner Hand baumelt eine Lebendfalle miteiner Ratte drin. Einer echten, lebendigen Ratte. Braun. Ziemlich groß. Mit langem Schwanz.
»Keine Angst, die ist nicht aus deinem Keller hier. Deine lasse ich dir schon!« Wieder erschrecke ich vor seinem Lachen.
»Es gibt genügend hier unten.«
Die Ratte schnappt nach Ralfs Finger. Er stellt den Käfig vor mir auf den Boden. Etwas blitzt auf in seiner Hand. Ein großes Küchenmesser. Ich weiß, dass ich wegsehen sollte oder zumindest die Augen schließen. Aber ich kann nicht. Er stößt das Messer in den Käfig. Aber die Ratte ist blitzschnell, weicht aus. Sie faucht ein klein wenig. Er sticht wieder zu, immer schneller, wütender. Wie in einer Art Rausch. Er hat sie anscheinend erwischt. Sie taumelt, fällt. Wieder sticht er zu. Noch einmal. Schließlich bricht sie zusammen. Er bohrt das Messer tief in ihren kleinen Körper, dreht es um. Und zieht es dann raus. Blut. Ein Bach. Wohlbekanntes Pochen in meinem Kopf. Mein Magen hebt sich. Ich spucke, merke, wie mir das Zeug über die Brust läuft. Schwärze vor meinen Augen. Ich falle. Und falle.
Ich blinzle. Weiß einen Moment lang nicht, wo ich bin. Es stinkt. Ich stinke. Vorsichtig sehe ich auf. Ein ganz kurzer Kerzenstummel. Noch etwas. Kotze. Und Blut. Ich drehe mich um, darf nicht noch einmal umfallen. Einen Moment lang schließe ich die Augen. Atme. Versuche, alles zu beherzigen, was mir meine Tante Uschi beigebracht hat, um nicht wieder umzukippen. Langsam drehe ich mich ein Stückchen um, nehme den Stummel, wieder verschütte ich Wachs. Diesmal auf die Decke. Endlich habe ich es geschafft. Fühle mich erschöpft. Stütze den Kopf in die Hände. Nicht denken. Immer wieder dränge ich die Bilder zurück. Ralf. Die Ratte. Lolita. Ihr Quieken. Und dann kommen Tränen. Tränen um Lolita, an die ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Lolita, die im eisig kalten See schwamm, anstatt wenigstens beerdigt zu werden. Ich hasse Ralf. Wie kann er je denken, dass sich das ändert? Dass ich ihn lieben könnte nach all dem?
»Igitt, was für ein Saustall«, sagt er doch tatsächlich, als er kommt. Und irgendwas in mir lacht beinahe los. Aber eben nur beinahe.
»Ich mache das weg«, erklärt er. Und dann höre ich etwas Schleifendes. »Boah, eklig!«
Dann steht er neben mir. »Ich muss dir etwas zeigen, kann nicht riskieren, dass du noch mal wegkippst«, sagt er und zieht ein Stück Zeitung aus seiner Hosentasche. »Die sind wahnsinnig schnell, diese Lokalfritzen. Zumindest wenn dein Vater ein hohes Tier bei der Bullerei ist.«
Er hält sich die Zeitungsseite dicht vors Gesicht. »Zu dunkel«, sagt er dann.
Zischend entzündet sich eine zweite Kerze an der ersten. Er stellt sie sorgfältig daneben. So als würde er eine Tafel decken und es käme auf jeden Zentimeter an.
»Hier.«
Das Papier knistert in meiner Hand. Ich sehe ein Foto. Schwarz-weiß. Ein Motorroller in einem Gebüsch. Total zerschrammt.
Und dann lese ich.
Schwerverletzter bei Rollerunfall
Polizei geht von Straftat aus
Ein 17-jähriger Rollerfahrer erlitt gestern in Lindau-Reutin an der Kreuzung Kolpingweg/Hauptstraße schwere Verletzungen. Er fuhr ungebremst in eine Hecke. Glücklicherweise war kein Gegenverkehr. Der junge Mann wurde sofort ins Lindauer Krankenhaus eingeliefert. Sein Zustand ist kritisch. Bei der Untersuchung des Unfallfahrzeuges stellte die Polizei fest, dass das Bremskabel durchtrennt war. Die Beamten fanden weitere Beweisstücke, die auf ein Verbrechen hindeuten.
»Sie werden ein Stück blaue Wolle gefunden haben, und Haare«, erklärt Ralf. »Vielleicht sogar deinen Schal vor Julias Haus, von dem die Wolle stammt. Sehr eindrucksvolles Teil, selbst gestrickt von der
Weitere Kostenlose Bücher