Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Reichweite …
Dieses verdorbene Werkzeug, hatte Elizabeth ihn genannt. Auch sie hatte letztlich Mitleid empfunden.
Anselm schaute auf und bemerkte eine kleine, rundliche Gestalt, die eilig den Weg entlangkam. Sie trug einen braunen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und eine rote Wollmütze mit Bommel.
»Frank Wyecliffe«, murmelte Anselm erstaunt.
Der Anwalt verbeugte sich, schüttelte ihm die Hand, schaute sich vorsichtig um und setzte sich auf die Eisenbahnschwelle. Er wolle eine heikle Angelegenheit besprechen, sagte er. Er hatte nach Anselm gefragt, worauf ein Mönch ihm den Weg zum Friedhof beschrieben habe, was angesichts seines Anliegens ein durchaus passender Ort sei. Er blinzelte in die Espen.
»So … hier verbringen Sie also heutzutage Ihre Freizeit?«
»Manchmal, aber nicht immer«, antwortete Anselm.
»Sehr schön.«
Mr. Wyecliffe rieb sich die Hände und blies hinein. Sein Kopf verschwand fast völlig in dem hohen Kragen. »Unsere gemeinsame Freundin, Inspector Cartwright, ist der Ansicht, dass mein alter Mandant, Mr. Riley, seine verrückten Machenschaften nicht ohne gleichzeitige sachkundige Hilfe ausgeheckt haben kann«, sagte er. »Sie denkt, sie kam von mir. Aber ich gebe solche Hilfen nicht … nicht zum Gebührensatz der Rechtsbeihilfe …« Er schaute über den Kragenrand. »Das war ein Witz … in Ordnung?«
»Ja«, antwortete Anselm.
»Ich kann gut auf eine weitere Beschwerde bei der Anwaltskammer verzichten«, sagte er und stöhnte über die Kälte. »Würden Sie der guten Inspektorin bitte erklären, dass ich nicht für die Ausgeburten von Rileys Hirn verantwortlich bin? Dass ich mich auf deren Auswirkungen beschränke?«
»Selbstverständlich.« Anselm musterte die zusammengekauerte Gestalt voller Wärme und mit einer gewissen Bewunderung. Dreißig Jahre lang hatte Frank Wyecliffe Graham Rileys Interessen vertreten – von Kaufverträgen für Immobilien bis hin zu Mord; er war ein überaus geschickter Anwalt: ein Pfadfinder im Labyrinth der Gesetze. Wenn es einen Weg gab, den er zum Vorteil seines Mandanten einschlagen konnte, tat er es mit einer Verbeugung. Männer wie er waren notwendig, er war engagiert, er war gut, auch wenn diese Arbeit zwangsläufig Spuren hinterließ.
»Frank …« Anselm grinste. Ihm war endlich etwas klar geworden. »Haben Sie in Elizabeth’ Auftrag die Briefe an mich und Inspector Cartwright geschickt?«
Der behaarte Kopf tauchte wieder über dem Kragen auf. Die zusammengekniffenen Augen fragten, ob die Angelegenheit innerhalb oder außerhalb des Protokolls behandelt würde. »Sehen Sie das als eine Art Beichte«, sagte Anselm, um sich beide Möglichkeiten offen zu halten.
Wie sich herausstellte, war Elizabeth nicht lange nach ihrem letzten Besuch in Larkwood in die Kanzlei auf der Cheapside gekommen. So wie sie Anselm einen Schlüssel anvertraut hatte, gab sie Mr. Wyecliffe zwei Briefe. Beide bat sie, im Fall ihres Todes aktiv zu werden. Beide handelten erst mit Verzögerung (Mr. Wyecliffe, weil er die Briefe in seinem Büro verlegt hatte; erst Nicks Anruf brachte ihn auf Trab).
Anselm konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Unter Anwälten herrschte zuweilen ein grausamer Humor. Und er sah den Witz in Elizabeth’ Aufgabenverteilung: »Sie müssen wissen, dass Sie mir die Handhabe geschickt haben, durch die Ihr Klient jetzt unter Mordanklage steht – denn dadurch habe ich Mrs. Dixon kennen gelernt. Und wenn Elizabeth sich nicht über die Rechtslage geirrt hätte, hätten Sie Inspector Cartwright die Beweise geschickt, aufgrund derer man ihn wegen sittenwidriger Einkünfte hätte verurteilen können.«
Mr. Wyecliffe blinzelte in die Espen und sagte: »Ich frage mich, was die Anwaltskammer daraus machen würde?«
»Keine Sorge, Frank«, beruhigte Anselm ihn. »Wir sitzen alle im selben Boot. Sie hat jedem seinen Part nach dem zugewiesen, was er gemacht hat: mir, George, Ihnen, sogar Inspector Cartwright. Wir alle bekommen, was wir verdient haben. Besonders Ihr Klient.«
Mr. Wyecliffe ging eilig den Weg zurück, eine Gestalt, die völlig verschieden war vom Prior, aber auf seine Weise vielleicht ebenso wichtig.
Die Äste zitterten, es fing an zu schneien. Sofort war das ganze Larktal gesprenkelt. Das winterliche Grün verschwand, die Wälder wurden weiß. Es herrschte so viel Aktivität und doch solche Stille. Nachdenklich fragte Anselm sich: Was wird in der Lücke wachsen, die ich hinterlasse? Etwas, was anderen Freude oder
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