Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
hoffe, dass dieses Experiment den Wissenschaftlern helfen wird, in der Zukunft Menschen von Aids zu heilen.«
Der Beutel: 300 Milliliter blutroter Saft. Über den Spender wusste Tim: männlich, Deutscher, jung. Er lebte in New York, war extra nach Deutschland gereist, um sich Stammzellen entnehmen zu lassen. Er hatte sich für drei Tage ins Krankenhaus begeben. Ihm war ein Medikament verabreicht worden, das die Reifung seiner Stammzellen im Knochenmark beschleunigte und sie ins Blut ausschwemmte. Sein Blut war durch eine Maschine gelaufen, mittels Zentrifuge wurden die Stammzellen daraus gefiltert. 400 Millionen Stammzellen, aus denen sich bald weiße Blutkörperchen entwickeln würden – das Startkapital für Tims neues Leben.
Die Transplantation war, anders als Tim lange geglaubt hatte, keine Operation. Ein Arzt hängte den Beutel ans Bett, schloss den Schlauch an Tims Vene an, stellte das Rädchen auf Durchlauf, notierte die Uhrzeit. Dann konnte Tim beobachten, wie die lebensrettende Flüssigkeit Tropfen für Tropfen in ihn hineinlief.
Die Tage danach: die Unerträglichkeit des engen Zimmers. Der Blick auf den Park, den fernen Kirchturm, die Baumgerippe. Das unablässige Rattern des Rettungshubschraubers, die aufgeregten Schritte der Schwestern auf dem Gang – er ertrug dies alles nur, indem er sich abschottete. Schlafbrille, Ohrstöpsel, nichts hören, nichts sehen. Er bangte, dass nicht wieder etwas Schlimmes passierte. Ein Drittel aller Stammzelltransplantierten verstarb im ersten Jahr – an der Giftigkeit der Vorbehandlungen, an Infektionen, an Unverträglichkeiten zwischen Spender und Empfänger.
Nach einigen Tagen stand Tim zum ersten Mal wacklig auf den eigenen Beinen im Zimmer. Mit einer Freundin schlich er aus dem Krankenhaus, heimlich, die Ärzte hatten ihm strenge Bettruhe verordnet. Aber er brauchte den freien Himmel über sich, wollte den Dampf seines Atems in der Winterluft sehen, die Geräusche der Straße hören, spüren, dass er noch am Leben war.
Was wusste Professor U. von dem, was sich auf seiner Abteilung abspielte? Hütter war überzeugt: bis zuletzt nichts. Zwar hatte Igor Blau ihm geraume Zeit zuvor pflichtschuldig berichtet, was geplant war. Zwar hatte U. dringend darum gebeten, weiterhin unterrichtet zu werden. Doch Hütter, der Regisseur, der Strippenzieher, hatte geschwiegen. So wie alle, glaubte er. Dann wäre sein Plan aufgegangen: Das Experiment wäre hinter U.s Rücken gelaufen.
Erst viel später erklärte ihm Blau, dass es zu jenem Zeitpunkt angeblich gar nicht mehr möglich gewesen wäre, es geheim zu halten. Professor U. selbst sprach Hütter nie darauf an, dass dieser versucht hatte, ihn zu umgehen. Er beachtete ihn kaum, ein einfacher Assistenzarzt war ihm wohl zu unbedeutend im Machtgefüge.
Das HI-Virus war nach der Transplantation aus Tims Blut verschwunden. Das überraschte zunächst niemanden, schließlich war sein Hauptdomizil, Tims eigene Immunzellen, durch die Strahlentherapie und Zellgifte zerstört worden. Vielleicht aber versteckte es sich jetzt nur an einem sicheren Ort – zum Beispiel in Tims Nervenzellen.
Der Amerikaner befand sich in einer sensiblen Phase. Ständig mussten die Ärzte sein Blut kontrollieren, um den Moment nicht zu verpassen, in dem der todbringende Erreger vielleicht zurückkam. Die Medikamente, die die Viren früher in Schach gehalten hatten, waren vor der Transplantation abgesetzt worden – wegen ihrer Nebenwirkungen waren sie zu gefährlich für frische Stammzellempfänger.
Jetzt stand die Frage im Raum, ob Tim Brown je wieder Medikamente brauchen würde. Falls das Experiment nicht funktionierte, erwartete Hütter eine unmittelbar bevorstehende, gefährliche Explosion der Viruskonzentration in Tims Blut.
Nach zwei Wochen wurde Tim entlassen, kam aber einmal wöchentlich zur Blutentnahme. Das Virus blieb verschwunden. Hatte die simple Idee wirklich funktioniert? 120 Tage wollten sie warten – dann würden sie es als bewiesen ansehen.
Nach einigen Wochen aber geriet das ganze Experiment in Gefahr – und später erzählten die Beteiligten unterschiedliche Versionen darüber, warum. Eines Morgens erschien Tim nicht zur Blutentnahme, und zunächst wusste Hütter nicht, wo er abgeblieben war. Später erklärte Tim: Professor U. habe ihm gesagt, er brauche nicht mehr in die Klinik kommen. Es reiche, wenn er sich von seinem niedergelassenen Onkologen weiter betreuen lasse. Was trieb den Professor dazu, fragte sich
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