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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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leichter, ihm fehlte ein großes Stück, das in der Evolution abhanden gekommen war. Er würde ein kleines Wettrennen veranstalten, bei dem dieser Genabschnitt besser vorankäme als die anderen. Er würde das Erbmaterial aller Spender nebeneinander auf ein Gel auftragen und dann ein elektrisches Feld anlegen. Alles würde in Richtung Pluspol wandern und der eine, kürzere Genabschnitt würde es am weitesten schaffen. Er würde zu dem Menschen gehören, nach dem sie suchten.
    Schwieriger war es, die Spender zu kontaktieren. Das Gesetz schrieb viele Formalitäten vor. Jeder von ihnen müsste von der Stiftung, bei der er registriert war, wieder einbestellt werden. Er müsste seine Zustimmung zu dem Gentest geben und verstehen, dass es manchmal nicht absehbare Konsequenzen haben kann, wenn eine Person weiß, dass sie Träger eines mutierten Gens ist. Schließlich könnte eine solche Mutation auch Nachteile haben, die man bislang noch nicht kannte. Fleißarbeit, die die Angestellten der Stiftungen viel Zeit kosten würde, sie würden Geld dafür verlangen. Das aber war kaum vorhanden, denn Hütter hatte darauf verzichtet, einen Forschungsantrag zu stellen. Die Zeit war zu knapp. Er verhandelte lange mit den Stiftungen, versuchte, sie zu begeistern, schrieb Projektpapiere und Aufklärungsbögen.
    Im Herbst 2006 – Tim Brown war längst aus der Klinik entlassen – kamen die Blutproben der Spender per Post. Nowak hatte viel mit anderen Projekten zu tun und übergab die Routinearbeit an seinen Schülerpraktikanten.
    An einem Nachmittag stand der Junge dann vor ihm: »Wir haben einen!« Spender Nummer 61. Nowak wurde heiß und kalt. Er wusste: Jetzt konnte etwas Großes daraus werden. Hatte er alles richtig gemacht? Den richtigen Genabschnitt ausgewählt? Er vergrub sich im Labor, überprüfte alles, analysierte den Genabschnitt von Spender 61 Baustein für Baustein, Nukleotid für Nukleotid. Alles stimmte.

    Für Hütter war Spender 61 kein Grund zum Feiern, er fühlte sich in einer schizophrenen Situation. Als Wissenschaftler hoffte er auf die Gelegenheit zu einem einzigartigen Heilversuch. Als Arzt musste er hoffen, dass Tim gesund bliebe – dass der Krebs nicht zurückkehren würde. Dann aber wären alle ihre Bemühungen umsonst gewesen.
    Sollte er jetzt Professor U. einweihen, den Chef der Abteilung für Stammzelltransplantation? Es wäre der letzte Moment, es zu tun, ohne dass der sich ausgegrenzt fühlen würde. Hütter entschied sich wieder dagegen. Er hatte ein ungutes Gefühl. Er packte alle Unterlagen in einen Ordner und beschloss, nicht mehr an den Fall Tim Brown zu denken.

    Die Abteilung für Stammzelltransplantation verfügte über eine Klingel. Hinter zwei Glasschiebetüren öffnete sich eine Schleuse, wo Besucher sich die Hände desinfizierten und Kittel, Handschuhe und Mundschutz anlegten. Vor den sechs Zimmern lagen weitere Hygieneschleusen.
    Tim Brown war fünf Monate nach seiner Entlassung eingewiesen und gleich hier aufgenommen worden. Rückfall, wieder Leukämie. Auf seinem Nachtisch stand ein Schutzengel aus Holz. Das Geschenk einer Freundin: »Der wacht darüber, dass dir nichts passiert.« Im Bett lag sein Teddy. Zwei Wochen würden die Vorbereitungen dauern. Zuerst Infusionen mit Zellgiften.
    Dann, kurz vor der Transplantation, die Ganzkörperbestrahlung: Krankentransport in den Keller der Charité, Mundschutz, kaltes Neonlicht und klassische Musik, eine Stunde in völliger Bewegungslosigkeit. Unsichtbare Strahlen zerstörten das Knochenmark komplett, das ihn 41 Jahre lang vor den täglichen Angriffen der Mikroben geschützt hatte und diese Aufgabe auch jetzt, da er schwer erkrankt war, leidlich erfüllt hatte. Aber das alte Immunsystem musste zerstört werden, sonst würde es die Spenderzellen abstoßen.
    Als diese Prozedur vorbei war, war Tim hilflos wie ein Fetus, der zu früh das Licht der Welt erblickte. Der harmloseste Erreger konnte ihn vernichten, es gab kein Zurück mehr. Noch nie fühlte er sich so allein.
    Doch gleichzeitig freute er sich. Er spürte, dass das Experiment, das ihm ein halbes Jahr zuvor egal gewesen war, etwas Großes barg. Er sah sich in einer »heiligen Mission«, alles durchzustehen.
    Der Tag der Transplantation, 16. Februar 2007. Matthias und eine Tochter waren gekommen. Tim hielt eine Ansprache an die Welt, Matthias führte die Videokamera:
    »Ich bin der erste Mensch auf der Welt, der eine Stammzelltransplantation bekommt, um HIV zu besiegen (…), und ich

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