Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
eine der gefährlichsten Gegenden Washingtons. Dort wimmelt es von schweren Jungs. Aber das scheint niemanden zu kümmern. Die Polizei des Ersten Distrikts hat aufgegeben. Wer einmal in Northfield gewesen ist, wird es ihr nicht verübeln.
Ich hielt den Tipp für wenig aussichtsreich, aber Alvin Jackson war ein Mann auf einer Mission. Ich fragte mich, warum.
Was entging mir hier?
Alvin zeigte mit dem langen Finger anklagend auf eines der gelben Backsteingebäude. Es war in ebenso schäbigem, baufälligem Zustand wie die meisten anderen. Über der doppelten Eingangstür hing ein glänzendblaues Metallschild: Gebäude 3.
Die Vordertreppe war von Rissen durchzogen und sah aus, als hätte der Blitz sie getroffen oder als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer darauf geschlagen.
»Da drin wohnt er. Jedenfalls hat er da gewohnt. Heißt Emmanuel Perez. Manchmal arbeitet er als Ausfahrer im Famous.
Ihr wisst schon, Famous Pizza . Der Typ ist hinter kleinen Kindern her, Mann. Echt schizo. Ein Scheißwichser. Aber ein Wichser, vor dem man Schiss haben muss. Er kann’s nicht ausstehen, wenn man ihn Manny nennt. Er heißt E-mma-nu-el ! Er besteht drauf.«
»Woher kennst du Emmanuel?«, fragte Sampson. Plötzlich legte sich ein Schleier über Alvins Augen. Sie wurden hart wie Steine. Er ließ sich ein paar Sekunden Zeit, ehe er antwortete. »Ich hab ihn schon immer gekannt. Er war schon hier, da war ich noch ‘n kleiner Bengel. Schon damals war er ein Schwein. Emmanuel war immer da, versteht ihr?« Ja, ich verstand. Jetzt verstand ich. Schneid-ihn-ab-Chucky war keine Chimäre mehr.
Auf dem asphaltierten Hof befand sich ein Spielplatz. Kinder drehten Reifen, aber nicht sehr gut. Am Basketballkorb war kein Netz, und der Rand war verbeult. Wer auch nur halbwegs gut Basketball spielte, trieb sich nicht auf diesen Höfen herum.
Plötzlich fiel Alvin etwas ins Auge.
»Da drüben, das isser«, sagte er mit hoher, weinerlicher, verängstigter Stimme. »Das isser, Mann. Das ist Emmanuel Perez, der hinter den Kindern her ist.«
Kaum hatte er ausgesprochen, als Perez uns entdeckte. Es war wie ein böser Traum. Ich sah den roten Bart, der steif vom Kinn abstand. Er hatte ein auffälliges körperliches Merkmal, an das die Leute sich erinnern würden, wenn sie ihn im Garfield Park sahen. Er musterte Alvin Jackson mit finsterem, Angst einflößendem Blick. Dann rannte er los wie ein geölter Blitz. Emmanuel Perez konnte verdammt schnell laufen. Aber das konnten wir auch. Jedenfalls hatten wir es noch beim letzten Mal gekonnt, als wir jemand hinterhergejagt waren.
10.
Sampson und ich kamen Perez ein bisschen näher. Wir stürmten durch eine gewundene, mit Unrat übersäte Gasse zwischen den hohen, tristen Gebäuden. Wir waren immer noch ziemlich flott.
»Halt! Stehen bleiben! Polizei!«, rief ich der armseligen Figur zu, die vor uns her flitzte. Schwarzer Mann? Chimäre? Unschuldiger Ausfahrer einer Pizzabäckerei?
Perez, der mutmaßliche Kindermörder und Kinderschänder, versuchte abzuhauen. Wir wussten nicht mit letzter Gewissheit, ob der Kerl Schneid-ihn-ab-Chucky war, aber er hatte offensichtlich einen Grund, vor Sampson und mir zu fliehen. Vor der Polizei.
Hatten wir einen Durchbruch in diesem Fall geschafft? Immerhin, es tat sich endlich etwas.
Ein schlimmer Gedanke hatte sich in meinem Hirn eingenistet: Warum hat man Perez nicht längst schon erwischt, wenn Sampson und ich den Kerl nach nur zwei Tagen Streife beinahe schon geschnappt haben?
Ich glaubte, die Antwort zu kennen. Sie gefiel mir nicht besonders: Weil sich niemand darum kümmert, was in dieser jämmerlichen Gegend in den Siedlungen passiert. Hier interessiert sich kein Aas für irgendwas.
»Wir fallen zurück!«, rief Sampson, als wir zwischen den riesigen Gebäuden dahinstürmten, Abfall umherwirbelten und Tauben aufscheuchten.
»Das wollen wir doch mal sehen!«, rief ich zurück.
Kein Aas interessiert sich für irgendwas.
»Wir sind schneller, stärker und zäher, als Manny in seinen kühnsten Träumen je gewesen ist.«
»Und besser als Dampfplauderer«, stieß ich keuchend hervor. Nur einmal Keuchen, aber trotzdem Keuchen.
»Das auch, Kleiner. Das brauchst du nicht extra zu sagen.«
Wir folgten Perez auf die Siebte Straße, die von vier- und fünfstöckigen Häuserreihen mit etlichen Geschäften und ein paar Bars gesäumt wird, die wie ausgebombt aussehen.
Plötzlich bog Perez mitten im Häuserblock in einen ziemlich heruntergekommenen Bau ab, der
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