Patterson James
weit bis an den unteren
Grünrand gerollt. Als Jack nun in seinem gelben Cashmere-Pullover und seiner taubenblauen Hose um diesen Hangaufwärts-Putt mit zweifachem Break herumtänzelte und ihn
von allen Seiten mit Ausnahme von unterhalb der Erde begutachtete, war sein Gesicht zu einer hoch konzentrierten, aber
finsteren Miene erstarrt.
Er sah wirklich aus wie ein Bär, ganz wie es seinem Spitznamen »Golden Bear« entsprach, ein ziemlich stinkiger Bär
allerdings, der gerade jemanden beim Stehlen seines Honigtopfs erwischt hatte. Während Jack nun um seinen Ball herumschlich, wurde das Publikum immer ruhiger, und als er
sich schließlich hinstellte und den Ball kraftvoll Richtung Loch
schlug, war die geballte Anspannung von zwanzigtausend
mucksmäuschenstillen Golffans, die nur darauf warteten, loszukreischen, kaum noch zu ertragen.
Zum zweiten Mal in Folge zielte Nicklaus perfekt, und als ich
mich erneut verzweifelt zu Earl umdrehte, machte der sich
nicht mehr die Mühe, mir zu widersprechen.
Er beugte sich nur ein wenig nach vorn, wie alle anderen auf
dem Platz, und starrte mit herunterfallender Kinnlade auf den
Ball, der unaufhaltsam auf das Loch zurollte. Mit einer Deutlichkeit, die mir das Blut in den Adern erstarren ließ, beinahe
einem Déjà-vu gleich, kam mir plötzlich Nicklaus’ unvergessliche Vorstellung beim Masters 1986 in den Sinn, als er den
enormen Putt am 15. Loch versenkte, im nächsten Moment aus
seiner angespannten Haltung hochschnellte und zum nächsten
Grün raste, wobei sein erhobener Schläger in der Spätnachmittagssonne glitzerte wie ein Kavalleriesäbel.
Der Ball sauste schnurgerade aufs Loch zu. Ich machte mich
schon auf einen weiteren Nicklaus-Sprint in die Annalen des
Golfsports gefasst, wobei mir gerade in diesem düsteren Augenblick die oft vergessene Tatsache einfiel, dass Jack nicht nur
ein wahres Golfwunder war, sondern darüber hinaus auch
noch einen Titel als Ohio Highschool-Jugendmeister im
100-Meter-Sprint gehalten hatte.
Ich konnte mich wirklich nicht beklagen. Es war ein großartiges Spiel gewesen. Besser als großartig. Doch jetzt war es
vorbei. Der letzte Vorhang würde jeden Moment fallen. Jack
ging schon in die Hocke. Der Ball war drin!
Bis er plötzlich direkt auf der Lippe des Lochs zum Stehen
kam, eine halbe Umdrehung zu kurz.
Die Menge atmete aus.
Ich auch.
Jack schubste den Ball zum Par ins Loch.
KAPITEL 39
M
ein eigener Titleist Nr. 3, der einzige Überlebende der drei,
die Pop vor einer Woche in Winnetka aus seinem Ärmel auf
den Rasen hatte fallen lassen, glänzte auf dem Grashang, eineinhalb Meter vom Grün, knapp acht Meter vom Loch entfernt.
Das Grün fiel steil zum Loch hin ab.
Es war der Chip, mit dem man es garantiert nicht zu tun haben will, wenn man Par schaffen muss. Aber für einen Golfer
am Rande des Nervenzusammenbruchs, der unbedingt ein
Birdie braucht, hatte er ein gewisses Potenzial. Immerhin war
es rein physisch schon mal unmöglich, den Ball zu kurz zu
lassen.
Ich fasste mein Eisen 9 unten am Griff, um den Schwung
besser kontrollieren zu können, setzte das Schlägerblatt hinter
den Ball und gab ihm einen ganz, ganz leichten Stoß. Ich sah
zu, wie der Ball mit Müh und Not aus dem Rough rollte und
sanft auf das Grün kullerte. Ich sah zu, wie er Zentimeter für
Zentimeter schneller wurde. Und dann sah ich ihn in rasendem
Tempo, Bugs Bunny gleich, hinten ins Loch krachen. Oder zumindest glaube ich, das gesehen zu haben.
Alles fing an, sich zu drehen. Zwanzigtausend Menschen
sprangen in die Höhe, und ich fiel auf die Knie, gefolgt von
Earl, der mich so fest umarmte, dass ich es bei Gott heute noch
spüren kann. Mehrere Minuten lang bestand die Welt aus purem Lärm.
Schließlich legte sich das Gebrüll wieder, und ich stand auf
und ging zum Loch, um meinen Ball herauszuholen. Aber
zuvor tat ich noch etwas anderes, was ich mir über die gesamten achtzehn Löcher hinweg versagt hatte.
Ich schaute zu Raymond und blickte ihm geradewegs in die
Augen.
Und dann zwinkerte ich ihm zu.
Also, es ist schon ziemlich heftig, am letzten Loch der US Senior Open einen Zwei-Meter-Putt einlochen zu müssen, um
mit Jack Nicklaus, der zwanzig Major-Turniere gewonnen hat
und überhaupt der größte Golfer aller Zeiten ist, ins Stechen
gehen zu können. Aber es ist noch einmal etwas komplett anderes, einen Zwei-Meter-Putt versenken zu müssen, um nicht
gegen Travis McKinley zu verlieren, einen unbekannten
Newcomer, der noch nie ein offizielles, in voller
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