Patterson James
begann schief und
wurde von einem Spike-Abdruck gnädigerweise umgelenkt.
Er rollte bombensicher mitten aufs Loch zu von dem Augenblick an, da er mein Schlägerblatt verließ, bis zu dem Moment,
als er hineinkrachte – ungefähr so subtil wie ein Dunking
Shaquille O’Neals von den Los Angeles Lakers.
Aber noch bemerkenswerter war das Gefühl, das ich hatte, als
ich den Ball schlug. Ich wusste, dass er hineingehen würde.
Spürte es in meinen Armen, Schultern, Beinen, in jedem
Knochen.
Wusste es mit einer Gewissheit, die fast schon gespenstisch
wirkte.
Es war wie etwas, das bereits passiert war, und ich brauchte
nur noch geduldig darauf zu warten, dass die Gegenwart endlich aufholte.
Zum allerersten Mal in vierzig Jahren konnte ich tatsächlich die Linie sehen. Trotz meines Spitznamens hatte mein Putting-Problem eigentlich nichts mit meinem Schlag zu tun. Es
lag vielmehr an meinen Augen oder an irgendetwas dahinter,
an den Windungen meines Gehirns. Weicht der Ball nun um
acht oder um fünf Zentimeter ab? Erfolgt der Break am Anfang
oder am Ende? Es war immer pures Herumraten.
Doch an diesem Morgen, als ich am Ball stand, meine Augen
senkrecht über dem Titleist-Logo, war meine Putting-Legasthenie geheilt. Es war, als ob jemand vom Straßenverkehrsamt Winnetka eine gepunktete Linie zwischen meinen
Ball und das Loch gemalt hätte. Oder noch besser, gleich eine
kleine Gleisstrecke von der Dimension der Spielzeugeisenbahn
meines Sohnes Noah ausgelegt hätte, und ich brauchte nur
noch den Ball anzustoßen und zuzusehen, wie er auf den
Schienen mitten ins Loch rollte.
Aber, wie schon gesagt, das ist noch nicht das Wunder, von
dem ich Ihnen erzählen möchte.
KAPITEL 3
W
ie ein Mann mittleren Alters, der plötzlich entdeckt, dass es
den Weihnachtsmann doch wirklich gibt, rannte ich zum
nächsten Abschlag. Ich drückte einen Tee-Stift in den kalten
Matsch und schlug einen weiteren kräftigen Drive auf den
menschenleeren Kurs hinaus.
Die folgenden Stunden verbrachte ich damit, in unersättlicher
Gier nach Birdies wie ein Besessener durch die winterlich kahle
Landschaft zu hasten.
Nachdem ich auf der 18 einen Viereinhalb-Meter-Putt versenkt hatte, rannte ich zur Eins zurück und spielte eine volle
18er-Runde, dann noch eine 9er-Runde, dann noch einmal
neun Löcher. Auf insgesamt achtunddreißig Löchern lochte ich
auf neunundzwanzig Grüns mit einem einzigen Putt ein, erzielte zwanzig Birdies, und in vier 9er-Runden lag mein Score
nie über 33. Die Zeit schien stillzustehen.
Einmal, als ich wie in Trance vier Löcher in Folge mit Birdie
spielte, fing mein Herz plötzlich so wild zu klopfen an, dass ich
mich an einen Baum lehnen und ein paarmal ruhig durchatmen musste.
Ich befürchtete schon, umzukippen und an Ort und Stelle ins
Gras zu beißen, sozusagen niedergestreckt im buchstäblich
besten Alter. Und ich bin mir nicht sicher, was mich daran
mehr geärgert hätte – zu sterben oder zu sterben, bevor ich
Gelegenheit gehabt hatte, jemandem von diesen Scores zu erzählen.
Doch schließlich wurde ich abrupt aus meinen Träumereien
gerissen.
Als ich gerade zum dritten Mal an diesem Tag auf dem 16.
Grün stand, schweifte mein Blick zufällig über die Nadelbäume am Rand des Fairway hinweg. Und dort, gleich über der
Baumlinie, schwebte, mit einer Schnur an einem Haus befestigt, ein gasgefüllter Luftballon mit einem Weihnachtsmann
darauf.
Panisch angelte ich in meiner Tasche nach der Uhr. Wie sich
herausstellte, war die Zeit eben doch nicht stehen geblieben.
Die Uhr hatte inzwischen munter vor sich hingetickt.
Während ich noch wie angewurzelt mitten auf dem Golfplatz
stand, stramme fünfzehn Gehminuten von meinem Jeep entfernt, weitere fünfzehn im Auto von zu Hause weg – bei rücksichtslosem Fahrstil –, war ich bereits zwei Stunden und zwanzig
Minuten zu spät für das Weihnachtsessen mit meiner Familie. Mit
Schwung warf ich mir meine Tasche über die Schulter und
fegte quer über den Platz davon wie ein Camper im Yellowstone Park, dem ein Bär auf der Suche nach seinem Weihnachtsessen auf den Fersen ist.
Oder wie ein Mann, der gerade ein Gespenst gesehen hat.
Das Gespenst des verpassten Weihnachtsfests.
KAPITEL 4
J
eder, der noch etwas Verstand besitzt, würde es sich bei
meiner Familie zweimal überlegen, das Weihnachtsessen zu
verpassen oder irgend ein anderes Mahl oder einen familiären
Anlass. Aber das ist wahrscheinlich in allen Familien so.
Sarah, meine Frau, ist großmütig, lustig, geradezu
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