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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Lindquist
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pensioniert wurde, begannen seine Gehprobleme. Und obwohl Papa glaubte, Daniel würde sich tot saufen, schränkte dieser das Trinken überraschend ein.
    Ich klopfte an Daniels Tür.
    »Komm rein !« , rief er.
    Sein Gesicht strahlte, als er mich sah; er hatte mich schon immer gemocht. Aber ich meinte noch etwas anderes in seinem Gesicht gesehen zu haben, als ich in seine Diele trat, einen Schatten, der jedoch genauso schnell verschwand, wie er aufgetaucht war.
    »Hallo, Jonas«, sagte er. »Wie schön, dass du vorbeikommst!«
    Daniel erhob sich aus einem Sessel und humpelte mir entgegen. Er klopfte mir mit der Hand auf die Schulter, bevor er vorsichtig mein Haar berührte.
    »Du lässt dir die Haare wachsen«, sagte er lächelnd.
    Er sah auf die Jacke.
    »Erkennst du sie wieder ?« , fragte ich.
    Er nickte. »Ja, natürlich erkenne ich sie wieder«, sagte er fast flüsternd. »Schließlich habe ich sie Paul geschenkt. Zu seinem Dreizehnten.«
    »Ja, ich weiß. Papa hat erzählt, was du gesagt hast, als du sie ihm geschenkt hast: ‚Alles Gute, Teenagerk !‘ .«
    Daniel lächelte. »Stimmt. Das ist richtig. Ich hatte es vergessen .« Er schwieg einen Moment.
    »So, so, Stefan erinnert sich ... Sieh mal einer an! Na, wir sollten nicht hier stehen bleiben. Komm rein und setz dich. Möchtest du Kaffee ?«
    »Ja, gern«, sagte ich und setzte mich aufs Sofa.
    »Leg irgendeine Platte auf, wenn du willst«, schlug Daniel vor und verschwand in der kleinen Kochnische.
    Ich stand auf und ging seine Schallplatten durch. Es waren vor allem alte Jazzplatten aus den Vierzigern und Fünfzigern; von den meisten Interpreten hatte ich noch nie gehört. Zum Schluss wählte ich zufällig eine aus.
    Daniel rief mir aus der Kochnische zu: »Jonas, komm und hilf mir doch bitte. Sonst geht noch was kaputt, wenn ich es allein mache .«
    Er lächelte, als er den Kaffee einschenkte. »Du magst also Bill Evans ?«
    »Was?«
    Daniel lachte. »Wir hören ihn uns gerade an .« Ich kicherte. »Ich weiß nicht. Ich habe einfach irgendeine ausgesucht .«
    Wir unterhielten uns eine Weile. Dann fragte er, ob es einen bestimmten Grund für meinen Besuch gäbe.
    »Na ja, nicht direkt«, log ich. »Aber Mama hat gesagt, du hättest vielleicht ein Namensbuch. So eines, wo drinsteht, was Namen bedeuten und so. Ich habe nämlich einen Namen entdeckt, den ich noch nie gehört habe .«
    »Ach? Und was ist das für ein Name ?«
    »Princi. «
    Zunächst wirkte er völlig ungerührt, langsam zog er an seiner Zigarette. Dann sah ich, wie er plötzlich mit seiner Hand zuckte und zu mir rüber schielte, bevor sein Blick zum Fenster wanderte. Er wiederholte den Namen, sprach ihn aber anders aus.
    »Wo hast du den Namen her ?« , fragte er nach einer Weile.
    »Er stand auf einem Zettel, den ich gefunden habe«, fing ich an. »Oder Brief, kann man vielleicht eher sagen .«
    »Ein Brief«, murmelte Daniel. Er schwieg. Der Rauch seiner Zigarette schlängelte sich langsam zur Decke.
    »Kennst du den Namen ?« , fragte ich. »Hast du ihn schon mal gehört ?«
    Er sah mich an. Nickte. »Ja«, begann er. »Ich kenne ihn. Aber eigentlich ist es kein Name .«
    »Nicht?«
    »Nein.«
    Ich warte darauf, dass er weiterredete, aber er schwieg.
    »Was ist es dann ?« , fragte ich nach einer Weile.
    »Es ist ein Wort«, antwortete er. »Nur ein Wort.«
    »Ein Wort? Aber was bedeutet es ?«
    »Es ist Tschechisch«, sagte Daniel, »und bedeutet Prinz .«
    »Prinz?«
    Ich erinnere mich nicht, ob ich erst erstaunt und dann froh war oder umgekehrt. Ich war erstaunt über die Bedeutung des Wortes, es war so selbstverständlich, wie Daniel es sagte. Und ich war froh; der Brief hätte also von jemandem geschrieben worden sein können, der meinen Bruder Prinz nannte. Der Brief könnte tatsächlich meinem Bruder gehört haben.
    Ich bemerkte, dass Daniel mich unentwegt anstarrte.
    Ich senkte den Blick.
    »Wo hast du ihn gefunden ?« , fragte er.
    »Auf dem Dachboden«, antwortete ich zögernd.
    Das Stück auf der Platte war zu Ende, und eine vibrierende Stille legte sich über den Raum.
    Daniel wusste etwas von dem Brief oder zumindest etwas über denjenigen, der Prinz genannt wurde. Und ich fühlte mich ertappt; ich wollte ihm eigentlich nicht erzählen, wo ich den Namen gesehen hatte. Aber warum war Daniel so still?
    Endlich begann das nächste Stück, ein einsames Klavier klimperte eine wehmütige Melodie. N ach einigen Takten stimmte die Snare Drum und der Bass mit ein.
    »Nun, Jonas«,

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