Paul ohne Jacob
einem teilnahmsvollen Lächeln an. »… und das an deinem Geburtstag«, sagte sie leise.
Daddy sagte: »Dann feiern wir eben morgen.«
Paul schüttelte den Kopf. »Ich will keine Feier mehr«, sagte er.
Er sah den Blick, der zwischen ihnen hin- und herging.
Seine Mutter sagte: »V ielleicht überlegst du dir’s ja noch mal.«
Wortlos schüttelte er den Kopf.
»Also, wir können ja die Torte essen, auch wenn das Eis geschmolzen ist, weil es eine Weile keinen Strom gab. Dann machen wir die Päckchen auf – die Geschenke, die du von uns bekommen hast«, sagte sein Vater.
»Ich hab im Moment keine Lust auf Torte«, sagte Paul.
Jacob war auf einen Sessel geklettert und schlief schon halb. Paul fühlte sich weit weg von den drei anderen, so als schaute er durchs falsche Ende eines Fernrohrs auf das Wohnzimmer, in dem sie saßen. Aber die Entfernung machte ihm ein wenig Angst, und daher hatte er rasch eingewilligt, als sein Vater sagte, er könnte sich die Geschenke doch zumindest mal ansehen .
Viele Monate später, als Paul an einem Nachmittag seine Schultasche im Wohnzimmer auf den Fußboden geschmissen hatte und unterwegs zur Küche war, um sich eine Orange und einen Keks zu holen, tauchte Jacob plötzlich hinter dem Sofa auf. In seinem holprigen Gang, mit Schlenkerbewegungen wie eine Lumpenpuppe, rannte er auf Paul zu, schlang ihm die Arme um die Taille und bohrte seinen Kopf in Pauls Bauch.
»Paul! Paul!«, rief er. Paul stand wie erstarrt.
»Er hat dich lieb«, sagte Mom, die an der Schlafzimmertür stand.
Paul wollte Jacobs Liebe nicht.
Als Daddy ihm sagte, dass sie zur Feier von Jacobs viertem Geburtstag eine kleine Party veranstalten wollten, konnte Paul nur daran denken, wie gern er woanders gewesen wäre.
»Bis zu diesem Jahr konnten wir noch keine Party für ihn geben«, sagte Daddy. »In den drei ersten Jahren hätte ihm das nichts bedeutet.«
Wenn sein Vater geahnt hätte, was Paul dachte, wäre er nicht so ruhig geblieben. Paul malte sich ein Erdbeben aus, einen späten Frühjahrs-Schneesturm, ein Feuer hier im Haus – alles, egal was, nur damit er nicht hier sein musste, wenn Jacob mit Mom und Daddy und Grandpa einstimmte und sich mit seiner Krähstimme, die immer so verrückt auf und ab kippte, selbst das Geburtstagslied sang.
Der Tag kam. Jacob, seine mit gelben Kaninchen bestickte Wollmütze auf dem Kopf, lief lachend kreuz und quer im Wohnzimmer herum und purzelte hin. Die Mütze hatte Grandpa ihm geschenkt und er trug sie nachts im Bett. Paul ging in sein Zimmer, legte sich auf sein Bett und versuchte an gar nichts zu denken. Wie konnte man überhaupt an nichts denken?
Er fühlte sich ganz jämmerlich, wie ein Waisenkind, das man bei Sturm und Regen aus dem Haus gejagt hatte.
Er hörte, wie Papier zerfetzt wurde. Jubelrufe. Er hörte Grandpa sagen: »Der Junge versteht sich aufs Feiern!«
»Paul«, rief seine Mutter. »Jacob packt gerade das Geschenk aus, das er von dir bekommen hat. Komm doch her!«
Er hatte kein Geschenk für Jacob besorgt. Das hatten die Eltern gemacht. Er wusste nicht mal, was es war. Sie hatten seinen Namen auf die Geburtstagskarte geschrieben.
»Paul!«, rief Jacob. »Mein Spiel!«
Grandpa tauchte an der Tür zu Pauls Zimmer auf. »Jetzt komm schon«, drängte er. »Dann geht’s dir gleich viel besser.«
Er stand langsam auf und ging ins Wohnzimmer. Woher wollte denn jemand wissen, wie es ihm gehen würde?
Jacob saß auf dem Fußboden und hielt einen Gegenstand umklammert, der aus bunten Holzperlen auf dicken Drähten bestand. Er schaute zu Paul hoch und ließ das Spielzeug los. »Paul!«, schrie er. »Danke!«
Unwillkürlich fiel Pauls Blick auf Jacobs kleine Finger. Sie sahen aus wie kurze, dicke Bleistiftstummel. »Bitte schön«, hörte er sich mit dünner, schwankender Stimme sagen.
Später gab es Torte. Als Mom sie auf ein niedriges Tischchen stellte, rief Jacob »Oh!« und fuhr sofort mit der Hand hinein, dann mit dem ganzen Gesicht.
»Du bist zum Kotzen!«, rief Paul, als Jacob ihn mit Schokoladenglasur im Gesicht angrinste.
»So etwas darfst du niemals zu deinem Bruder sagen«, sagte Daddy streng.
»Zu meinen Freunden sag ich das doch auch«, verteidigte sich Paul. Sein Gesicht glühte.
»Jacob ist dein Bruder, nicht dein Freund«, sagte Daddy.
Mom sah ihn mit stummem Vorwurf an. Daddys strenger Tonfall war ihm sehr viel lieber als ihr Blick, der wie ein feuchtes Tuch an ihm haftete.
Genau in diesem Augenblick wurde Jacob
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