Paul sucht eine Frau
daneben und gibt Anweisungen.
»Meine Güte, stell dich nicht so an! Zuerst das Vorderrad! Ist doch logisch!«
Was für ein Drecksack, denkt Paul. Soll er dazwischen gehen? Paul will schon eindrehen und zu Harry fahren, als etwas Sonderbares passiert. Maria ist fertig mit dem Einladen und geht zu ihrem Mann, der mit einem Mal wie ausgewechselt ist. Mit verliebtem Blick, wie ein Teenager, strahlt er seine Frau an. Sie lächelt zurück. Dann setzt sie sich auf seinen Schoß und die beiden küssen sich.
»Oh, Mann«, murmelt Paul und fährt weiter.
* * *
Samstag.
Als Paul die Tür öffnet und in den Gang blickt, erkennt er seine Mutter zuerst nicht. So viele aufeinandergestapelte Schüsseln und Töpfe balanciert sie in ihren Händen, dass sie bis vor ihr Gesicht reichen.
Sein Vater steht daneben. Einen riesigen Staubsauger in der einen Hand und einen Putzeimer und einen Wischmopp in der anderen.
Sofort stellt die Mutter ihre gesammelten kulinarischen Werke zur Seite, um Paul minutenlang umarmen zu können. Sein Vater behält den Staubsauger in der Hand. Wie einen Schutzschild, damit er eine Ausrede hat, seinem Sohn nicht unnötig nahe kommen zu müssen.
Kaum hat die Mutter ihren Sohn losgelassen, fängt sie zu putzen an.
»Mama, das hat doch Zeit bis nach dem Essen. Ich hab Hunger.«
Aber von solchen Einwänden lässt sie sich nicht aufhalten. Bevor es einen Bissen gibt, feudelt sie eine Stunde durch die Wohnung. Paul und sein Vater sitzen unterdessen gemeinsam in der Küche und schweigen sich an. Bis der Vater anfängt, von seiner Arbeit bei der Versicherung zu erzählen.
»Bist du immer noch so wild auf deine Arbeit?«, fragt Paul, nur damit er etwas zu dem Gespräch beiträgt. »Willst du es nicht langsam ruhiger angehen lassen? In ein paar Jahren kannst du in Rente gehen.«
Der Vater fährt zusammen. »Erinnere mich nicht daran. Was hab ich noch vom Leben, wenn ich den ganzen Tag zu Hause sitze? Willst du, dass ich Alkoholiker werde?«
Und dann spricht er von der letzten Vertreter-Versammlung, obwohl er sich denken könnte, dass Paul kein Wort versteht. Aber so geht das seit Pauls Unfall. Schon als Paul nach der Reha für ein paar Wochen zu Hause war, um auf das Freiwerden seiner neuen Wohnung zu warten, hat der Vater angefangen, mehr zu arbeiten als je zuvor. Als wollte er seinem Sohn und der neuen Situation aus dem Weg gehen.
»Ich hatte doch schon sauber gemacht«, sagt Paul, als die Mutter zu ihnen kommt.
»Ja, ja. Wie ihr Männer sauber macht, das kenne ich.«
Sie essen endlich.
»Und schmeckt es, Junge?«
»Sehr gut.«
»Zum Glück ist dein Studium bald vorbei. Wenn du erst wieder zu uns kommst, kann ich jeden Tag für dich kochen.«
Okay, denkt Paul. Das ist jetzt der erste ernsthafte Versuch ihm den Tag zu versauen. Am besten nichts erwidern, weder zustimmen, noch widersprechen. Dann bleibt die Chance erhalten, dass er bis zum Nachtisch wieder gute Laune hat.
Die nächsten zwei Stunden wird das Thema nicht mehr aufgegriffen und sie unterhalten sich über den neuesten Tratsch aus der Pfalz. Paul würde gerne von seiner Doktorarbeit erzählen, aber er ist sich nicht sicher, ob sie seine Forschung ernst nehmen werden, also versucht er, dieses Thema zu umschiffen.
»Dein Vater und ich, wir verstehen gar nicht, warum du diese Doktorarbeit machst«, sagt seine Mutter plötzlich. »Du willst doch nur Lehrer werden.«
Nur Lehrer. Nicht von solchen Nebensächlichkeiten provozieren lassen, denkt Paul.
»Viele Gymnasiallehrer machen einen Doktor, Mama. Ich möchte eben auch einen Beitrag zur Forschung leisten.«
»Ich hoffe, die Schulen zahlen dir mit dem Titel wenigstens mehr Gehalt.«
»Mama, darum geht es gar nicht.«
»Ach so. Na ja. Erst mal musst du sowieso eine Schule finden, die dich anstellt.«
Sie seufzt. Und Paul ebenso.
Die Eltern stehen schon in der Tür, um sich zu verabschieden, als die Mutter sagt: »Kennst du noch meine Freundin Annie? Sie wird gerade zum dritten Mal Großmutter.«
»Schön für Annie«, sagt Paul.
»Mir ist so etwas ja nicht vergönnt. Aber zum Glück habe ich viele andere Dinge, an denen ich mich erfreuen kann.«
»Was soll das denn heißen?«, platzt es aus Paul heraus.
»Ach, Junge. Du weißt warum.«
So?, denkt Paul.
»Mama. Ich bin doch nicht impotent«, flüstert er.
»Oh«, sagt die Mutter und sieht zu Boden.
Was, oh? Hat sie das etwa nicht gewusst? Gefragt hat sie ihn bisher nie, das stimmt. Aber seit wann reden Eltern und
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