Paul sucht eine Frau
nicht«, sagt Paul.
»Wieso? Bist du scharf auf die?«
Jenny lacht, aber als sie merkt, dass Paul nicht mitlacht – wie könnte er! - verstummt sie. Und Paul blickt zu Boden. Dann verabschiedet er sich und setzt seinen Rollstuhl in Bewegung.
»Gehst du nicht mit uns feiern?«, ruft Jenny ihm hinterher, aber Paul schüttelt den Kopf.
Das Kopfsteinpflaster in der Hauptstraße stört ihn lange nicht mehr. Trotzdem kommt er schneller voran, als er nach ein paar Minuten die Altstadt hinter sich lässt und den Bismarckplatz passiert – hier gibt es einfach weniger Touristen pro Quadratmeter.
Wenn er wüsste, wie er die Sache mit der Kellnerin wieder hinbiegen kann? Er kennt nicht mal ihren Namen. Selbst wenn er morgen noch einmal in das Café geht, und übermorgen, und nächste Woche. Dann traut er sich trotzdem nicht, sie anzusprechen. Soll er sich damit zufriedengeben, sie nur anzusehen? Als stiller Bewunderer in ihre Schönheit einzutauchen? Aber das kann es doch nicht sein. Er braucht einen Plan, wie er sie erobern kann. Nur wie?
Paul überquert die Ampel zur Bergheimer Straße und fährt noch gut einen halben Kilometer weiter. Dann steht er vor einem grauen Achtziger-Jahre-Bau, der aus architektonischer Sicht wenig Heidelberger Romantik versprüht. Dafür mit einem geräumigen Aufzug und breiten Türrahmen in den Wohnungen.
Pauls Zwei-Zimmer-Studentenbude befindet sich im dritten Stock. Als er in der Wohnung ankommt, holt er sich eine Packung Tiefkühl-Lasagne aus dem Gefrierfach und wärmt sie in der Mikrowelle auf. Nach dem Essen greift er sich den großen Akkustaubsauger neben dem Kühlschrank und saugt die Wohnung. Das Resultat der Reine-Mach-Aktion sieht ganz gut aus, wie er findet.
Fünf Minuten später klingelt sein Smartphone.
»Ich wollte dich nur erinnern, dass wir am Wochenende zu Besuch kommen.«
»Ich weiß, Mama.«
Natürlich hat er das nicht vergessen. Wie könnte er?
»Was wünschst du dir zu essen?«
»Ihr braucht nichts mitbringen. Wenn ihr zu mir kommt, seid ihr die Gäste.«
»Ha«, seine Mutter lacht. »Frikadellen magst du doch so gerne. Ich bringe ein paar selbstgemachte mit. Und Nudelsalat.«
Unnötig, dagegen zu protestieren.
»Ich bringe auch meinen Staubsauger mit.«
»Das ist wirklich nicht ...«
»Nicht, dass du irgendwann in deinem eigenen Dreck erstickst.«
»Mama. Ich wohne seit über fünf Jahren in einer eigenen Wohnung. Bisher habe ich es gut überstanden.«
»Wenn du nur bei uns geblieben wärst! Dann könnten wir uns viel besser um dich kümmern. Hätte ich wenigstens einen Führerschein, dann könnte ich dich auch unter der Woche besuchen.«
Paul atmet tief durch. Eigentlich sind die heutigen Konversationsthemen seiner Mutter halb so schlimm. Nach seiner Reha-Zeit im Odenwald und Heidelberg hatte er sich entschlossen, nicht mehr zu seinen Eltern in die Pfalz zurückzukehren und stattdessen hier zu studieren. Er hatte sich in die Stadt am Neckar verliebt, wie so viele Rollstuhlfahrer vor ihm. Die Freizeitangebote sind gut, auch mit Behinderung. Und studieren kann man hier so ziemlich alles. Nur eine Wohnung zu finden ist schwer, vor allem, wenn die eigenen vier Wände barrierefrei sein müssen.
Doch er hat es geschafft, auch wenn seine Mutter die ersten vier Wochen bei ihm eingezogen ist, um sicherzugehen, dass alles gut geht. Was Paul in diesen Wochen gelernt hat: Mütter können ihre Söhne schlecht gehen lassen. Wenn die Söhne Rollstuhlfahrer sind, und die Mütter in der Lage sind sich einzureden, dass ihre Söhne absolut hilfsbedürftig sind und ohne sie keine fünf Minuten überleben könnten, ist der Mutterkomplex noch schlimmer ausgeprägt.
»Es ist nicht so, dass ich komplett gelähmt wäre, Mama«, sagt Paul ins Telefon.
»Du brauchst mir nicht wieder den tapferen Jungen vorspielen. Ich kenne deinen Befund. Du bist Tetraplegiker – ja, siehst du, mittlerweile habe ich mir sogar den Fachbegriff gemerkt. Tetraplegiker, das sind Menschen, die an allen vier Gliedmaßen gelähmt sind. So sieht es nämlich aus.«
Die an allen vier Gliedmaßen von Lähmungen betroffen sind, denkt Paul. Das ist ein nicht unwesentlicher Unterschied.
»Es könnte viel schlimmer sein, das weißt du. Wenn meine Lähmung nicht unterhalb des siebten Halswirbels liegen würde, sondern höher.«
Er kann seine Arme noch gut bewegen. Auch sein Trizeps ist ihm geblieben, wodurch er ohne Probleme aus seinem Rollstuhl übersetzen kann. Nur die Fingerfunktionen sind stark
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