Pauline Reage - Geschichte der O
höchst wunderlich vor, als sie sich nach dem Bad, frei und allein in ihrem Badezimmer, sorgfältig schminkte und parfümierte, genau wie in Roissy.
Gewöhnlich benutzte sie andere Schminken. In der Schublade ihres Frisiertisches fand sie fetthaltiges Wangenrot - sie legte nie Rouge auf - mit dem sie den Hof ihrer Brüste tönte. Es war ein Rouge, das man kaum sah, wenn es aufgetragen wurde, das jedoch später nachdunkelte. Sie glaubte zuerst, sie habe zuviel genommen, wischte es mit Alkohol wieder ab - es ließ sich sehr schwer abwischen - und begann von neuem: die Spitzen ihrer Brüste erblühten in tiefem Rosenrot. Vergebens versuchte sie, damit die Lippen zu schminken, die das Vlies ihres Schoßes verbarg, es haftete nicht.
Schließlich fand sie unter den Lippenstiften, die sie in der gleichen Schublade verwahrte, einen dieser kußechten Stifte, die sie nicht gern benutzte, weil sie zu trocken waren und zu sehr hafteten. Für diesen Zweck war er geeignet. Sie richtete ihr Haar, ihr Gesicht, danach parfümierte sie sich. Rene hatte ihr in einem Zerstäuber, der einen dichten Nebel versprühte, ein Parfum geschenkt, dessen Namen sie nicht kannte. Es roch nach trockenem Holz und Sumpfpflanzen herb und ein bischen wild.
Der Nebel schmolz und rieselte auf ihre Haut, auf den Flaum ihrer Achselhöhlen und ihres Schoßes, haftete in winzigen Tröpfchen.
O hatte in Roissy Geduld gelernt: sie parfümierte sich dreimal, ließ jedesmal das Parfum auf der Haut trocknen. Sie zog zuerst ihre Strümpfe und die hochhackigen Schuhe an, dann Unterrock und Rock, dann die Weste. Sie streifte die Handschuhe über, nahm ihre Tasche. In der Tasche waren ihre Puderdose, das Rouge, ein Kamm, der Schlüssel, und zehn Francs.
Schon behandschuht nahm sie den Pelz aus dem Schrank und schaute auf die Uhr neben dem Bett: es war ein Viertel vor acht Uhr. Sie setzte sich schräg auf die Bettkante und wartete, die Augen auf den Wecker gerichtet, regungslos auf das Anschlagen der Glocke. Als sie es endlich hörte und aufstand, begegnete sie im Spiegel des Frisiertisches, eh sie die Lampe löschte, ihrem Blick, er war furchtlos, sanft und gefügig.
Als sie die Tür des kleinen italienischen Restaurants aufstieß, vor dem der Wagen sie abgesetzt hatte, sah sie sogleich Rene an der Bar sitzen. Er lächelte ihr zärtlich zu, faßte ihre Hand, dann drehte er sich zu einem sportlichen, grauhaarigen Mann um und stellte ihr, in englischer Sprache, Sir Stephen H. vor.
O wurde ein Hocker zwischen den beiden Männern angeboten und als sie sich setzen wollte, flüsterte Rene ihr zu, sie solle achtgeben, daß sie ihr Kleid nicht verknittere. Er half ihr, den Rock über den Hocker gleiten zu lassen und sie spürte das kalte Leder unter ihrer Haut und den metallgefaßten Rand direkt in der Höhlung ihrer Schenkel, weil sie sich zuerst nur halb hinzusetzen wagte, aus Furcht, sie könne sonst der Versuchung erliegen, die Beine zu kreuzen. Ihr Rock war um sie ausgebreitet. Ihr rechter Absatz war in eine Quersprosse des Hockers gehakt, die Spitze ihres linken Fußes berührte den Boden.
Der Engländer, der sich wortlos vor ihr verbeugt hatte, ließ die Augen nicht mehr von ihr; sie sah, daß er ihre Knie musterte, ihre Hände und schließlich ihre Lippen - aber so ruhig und mit so genauer und gelassener Aufmerksamkeit, daß O sich abgeschätzt vorkam, begutachtet auf ihre Eignung als das Instrument, das sie, wie sie sehr wohl wußte, auch war, und wie von diesem Blick dazu gezwungen, sozusagen wider Willen, zog sie ihre Handschuhe aus - sie wußte, daß er sprechen würde, sobald ihre Hände nackt wären - weil ihre Hände eigenartig geformt waren, eher wie die Hände eines Knaben, nicht wie die einer Frau, und weil sie am linken Ringfinger den Eisenreif mit der dreiarmigen Goldspirale trug. Aber nein, er sagte nichts, er lächelte: er hatte den Ring gesehen. Rene trank einen Martini, Sir Stephen Whisky.
Er trank langsam sein Glas aus, wartete, bis Rene mit seinem zweiten Martini fertig war und O mit dem Grapefruitsaft, den Rene für sie bestellt hatte, und erklärte dann, wenn O ihm die Freude machen wolle, sich Rene und ihm anzuschließen, so könnten alle drei zu Abend essen im Restaurant im Souterrain, das kleiner und ruhiger sei als der Saal, der sich im Erdgeschoß an die Bar anschloß.
»Natürlich«, sagte O, die bereits Tasche und Handtasche von der Theke nahm, wo sie beides abgelegt hatte. Sir Stephen half ihr vom Hocker, er hielt ihr seine rechte
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