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Pauline Reage - Geschichte der O

Pauline Reage - Geschichte der O

Titel: Pauline Reage - Geschichte der O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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Sir Stephen.
    Das Schwerste, sagte sich O, war nicht, einzuwilligen, und sie wußte, daß keinem der beiden, so wenig wie ihr selbst, auch nur eine Sekunde der Gedanke kam, sie könne sich weigern. Das Schwerste war, überhaupt zu sprechen.
    Ihre Lippen brannten und ihr Mund war trocken, ohne Speichel, ein Gefühl aus Furcht und Verlangen schnürte ihr die Kehle zu und ihre Hände, die sie jetzt wieder spürte, waren kalt und feucht. Hätte sie wenigstens die Augen schließen dürfen! Aber nein. Zwei Blicke, denen sie sich nicht entziehen konnte - gar nicht entziehen wollte - hielten den ihren fest.
    Sie führten O wieder hin zu dem, was sie glaubte, für lange Zeit, vielleicht für immer in Roissy gelassen zu haben. Denn seit ihrer Rückkehr hatte Rene sich auf die bloße Berührung ihres Körpers beschränkt und niemand hatte von dem Recht Gebrauch gemacht, das ihr Ring, Symbol der Hörigkeit, jedem einräumte, der sein Geheimnis kannte. Entweder war sie mit niemandem zusammengekommen, der es gekannt hatte oder die betreffenden hatten geschwiegen - als einzigen Menschen verdächtigte sie Jacqueline (aber wenn Jacqueline in Roissy gewesen war, warum trug dann nicht auch sie den Ring?
    Zudem, würde Jacqueline als Eingeweihte irgendein Recht über O haben, das O nicht auch über Jacqueline hätte?). Würde sie sprechen können, wenn sie sich bewegte?
    Aber sie konnte sich nicht aus eigenem Antrieb bewegen - ein Befehl hätte sie sofort auf die Beine gebracht, doch diesmal sollte sie nicht einem Befehl gehorchen, sie sollte allen Befehlen zuvorkommen, sich selbst zur Sklavin machen, sich sklavisch ausliefern. Das nannten sie ihr Einverständnis.
    Sie erinnerte sich, zu Rene nie etwas anderes gesagt zu haben als »ich liebe dich« und »ich gehöre dir«. Anscheinend sollte sie heute sprechen, sollte in allen Einzelheiten und ausdrücklich akzeptieren, was sie bisher einzig durch ihr Schweigen akzeptiert hatte.
    Endlich richtete sie sich auf, öffnete die obersten Schließen ihrer Tunika bis zum Ansatz der Brüste, als ob das, was sie zu sagen hatte, sie erstickte. Dann stand sie ganz auf. Ihre Knie und Hände zitterten.
    »Ich gehöre dir, sagte sie schließlich zu Rene, ich werde sein, was du willst, das ich sein soll«.
    »Nein, sagte er: uns; sprich mir nach: ich gehöre euch, ich werde sein, was ihr wollt, das ich sein soll«. Sir Stephens harte graue Augen ließen sie nicht los, sowenig wie Renes Augen, in denen sie sich verlor, während sie langsam die Sätze nachsprach, die er ihr vorsagte, und dabei das ganze, wie bei einer Grammatikübung, in die erste Person übertrug.
    »Du erkennst mir und Sir Stephen das Recht zu … »sagte Rene und O wiederholte so klar sie konnte: »Ich erkenne dir und Sir Stephen das Recht zu…
    Das Recht, über ihren Körper zu verfügen, wo immer und wie immer sie wollten, das Recht, sie wie eine Sklavin auszupeitschen für das geringste Vergehen oder zu ihrem Vergnügen, das Recht, Flehen und Schreie, falls man sie zum Schreien brächte, nicht zu beachten.
    »Sir Stephen wünscht, sagte Rene, daß ich dich ihm übereigne, daß du selbst dich ihm übereignest und daß ich dir seine Forderungen im einzelnen darlege. - O hörte ihrem Geliebten zu und die Worte, die er zu ihr in Roissy gesprochen hatte, kamen ihr wieder ins Gedächtnis: es waren fast die gleichen gewesen.
    Aber als sie damals diesen Worten gelauscht hatte, war sie an ihn gepreßt gewesen, geschützt von einer Unwahrscheinlichkeit, die an Traum grenzte, von dem Gefühl, daß sie in einer anderen Existenz lebte, daß sie vielleicht überhaupt nicht lebte.
    Traum oder Alptraum, Kerkerszenerie, Galagewänder, maskierte Personen, alles distanzierte sie von ihrem eigenen Leben, sogar die Zeit war aufgehoben. Sie fühlte sich dort, wie man sich in der Nacht fühlt, mitten in einem Traum, den man wiedererkennt und der immer wiederkehrt. Überzeugt, daß er existiert und überzeugt, daß er enden wird, und man sehnt dieses Ende herbei aus Furcht, ihn nicht länger ertragen zu können und wünscht zugleich, daß er weitergehe, um die Lösung zu erfahren.
    Nun war die Lösung erfolgt, die sie nicht mehr erwartet hatte in einer Form, die sie am wenigsten erwartet hätte (vorausgesetzt, so sagte sie sich jetzt, daß dies wirklich die Lösung war, daß sich nicht eine andere dahinter verbarg und vielleicht eine dritte hinter dieser nächsten).
    Diese Lösung bedeutete, daß sie aus der Erinnerung in die Gegenwart stürzte,

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