Pauline Reage - Geschichte der O
Hausmäntel gehabt hätte, wäre man glücklicher gewesen. Oder wenn man wenigstens die vorgeschriebenen hätte tragen dürfen, ohne etwas darunter anzuziehen.
»Wieso ohne etwas darunter? »sagte O.
»Ohne Kleid natürlich«, erwiderte Jacqueline. Worauf O errötete. Sie konnte sich nicht daran gewöhnen, unter ihrem Kleid nackt zu sein, und jedes zweideutige Wort erschien ihr eine Anspielung auf ihren Zustand. Vergeblich sagte sie sich, daß man unter irgendeinem Kleidungsstück immer nackt sei.
Nein, sie fühlte sich nackt wie jene Veroneserin, die zum Heerführer der Belagerer gegangen war, um ihre Stadt zu retten: nackt unter einem Mantel, den man nur zurückzuschlagen brauchte. Es schien ihr auch, als wolle sie damit etwas einhandeln, genau wie die Italienerin, aber was? Jacqueline war ihrer sicher, und den Beweis dafür brauchte sie nicht erst einzuhandeln; ein Blick in den Spiegel genügte. O betrachtete sie voll Demut und dachte, man könnte ihr, ohne sich schämen zu müssen, keine anderen Blumen schenken als Magnolien, deren dicke und matte Blütenblätter leicht ins bräunliche spielen, wenn sie welken, oder Kamelien, in deren wächsernem Weiß zuweilen ein rosiges Licht spielt.
Der Winter rückte immer ferner, und mit der Erinnerung an den Schnee verblaßte auch eine leichte Tönung, die Jacquelines Haut vergoldete. Bald würden nur noch Kamelien am Platze sein.
Aber O fürchtete, sich lächerlich zu machen mit solch melodramatischen Blumen. Sie brachte ihr eines Tages einen großen Strauß blauer Hyazinthen, deren Duft dem der Tuberosen ähnlich ist und einem zu Kopf steigt. ™lig, heftig, haftend, genau der Duft, den die Kamelien haben sollten und den sie nicht haben. Jacqueline steckte ihre Monogennase in die steifen, lauen Blüten, ihre Lippen, die seit vierzehn Tagen rosa geschminkt waren, nicht mehr rot.
Sie sagte: »Sind die für mich?« - Wie die Frauen sagen, denen alle Welt allezeit Geschenke macht. Dann sagte sie danke, dann fragte sie, ob Rene kommen werde, um O abzuholen. Ja, er werde kommen, sagte O. Er wird kommen, sagte sie bei sich und für ihn wird Jacqueline in gespielter Regungslosigkeit, in gespieltem Schweigen eine Sekunde die eisigfeuchten Augen heben, die niemandem ins Gesicht schauten. Jacqueline würde man nichts mehr lehren müssen: nicht schweigen, nicht die offenen Hände an den Seiten herabhängen lassen, nicht den Kopf halb in den Nacken beugen.
O starb fast vor Verlangen danach, die allzu hellen Haare im Nacken zu packen, den willigen Kopf weit zurückzubeugen, wenigstens mit den Fingerspitzen die Linie der Brauen nachzuziehen. Aber auch Rene würde danach verlangen. Sie wußte genau, warum ihre frühere Kühnheit solcher Schüchternheit gewichen war, warum sie seit zwei Monaten Jacqueline begehrte, ohne sich mit einem Wort oder einer Geste zu verraten, warum sie vor sich selbst fadenscheinige Begründungen für ihre Zurückhaltung anführte.
Es stimmte nicht, daß Jacqueline unnahbar war. Das Hindernis lag nicht bei Jacqueline, es lag in O selbst und war von einer Art, wie es ihr nie zuvor begegnet war. Es bestand darin, daß Rene ihr Freiheit ließ und daß sie ihre Freiheit verabscheute. Ihre Freiheit war schlimmer als alle Ketten.
Ihre Freiheit trennte sie von Rene. Zehnmal schon hätte sie, ohne ein Wort zu sagen, Jacqueline bei den Schultern nehmen, sie mit beiden Händen an eine Wand nageln können, wie man einen Schmetterling aufspießt; Jacqueline hätte sich nicht bewegt, sie hätte bestimmt nicht einmal gelächelt. Aber O war wie ein wildes Tier geworden, das man in Gefangenschaft gehalten hat und das jetzt dem Jäger als Lockvogel dient, das seine Beute nur noch für ihn schlägt, nur auf seinen Befehl zuspringt. Sie selbst lehnte sich nun manchmal bleich und zitternd an die Wand, festgenagelt durch ihr Schweigen, festgebunden durch ihr Schweigen, und so glücklich, weil sie schwieg. Sie erwartete mehr als eine Erlaubnis, denn die Erlaubnis hatte sie bereits. Sie erwartete einen Befehl. Er kam nicht von Rene, er kam von Sir Stephen.
Monate waren vergangen, seit Rene sie Sir Stephen übergeben hatte, und O bemerkte mit Schrecken die zunehmende Bedeutung, die Sir Stephen in den Augen ihres Geliebten gewann. Zugleich dachte sie, daß sie sich vielleicht täuschte, daß es sich bei dem, was sie für eine fortschreitende Entwicklung der Tatsachen oder der Gefühle hielt, lediglich um eine fortschreitende Erkenntnis dieser Tatsachen oder dieser Gefühle
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