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Pauline Reage - Geschichte der O

Pauline Reage - Geschichte der O

Titel: Pauline Reage - Geschichte der O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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andere stießen sie voll Abscheu zurück.
    Doch was sie für Verlangen hielt, war nichts weiter, als die Lust an der Eroberung, und weder ihre Gepflogenheiten eines verderbten Knaben, noch die Tatsache, daß sie ein paar Liebhaber gehabt hatte - wenn man sie Liebhaber nennen kann - noch ihre Härte, nicht einmal ihr Mut, halfen ihr auch nur im geringsten, als sie Rene begegnete. In acht Tagen lernte sie die Furcht kennen, aber auch die Sicherheit, das Entsetzen, aber auch das Glück. Rene warf sich auf sie, wie ein Räuber auf eine Gefangene, und sie wurde mit Wonne seine Gefangene, spürte an ihren Handgelenken, ihren Fußknöcheln, an allen Gliedern und selbst an den verborgensten Stellen ihres Körpers die Bande, die unsichtbarer waren als das feinste Haar, kräftiger als die Seile, mit denen die Liliputaner Gulliver gefesselt hatten, und die ihr Geliebter mit einem einzigen Blick anzog oder löste.
    Sie war nicht mehr frei? Ah! Gott sei Dank, sie war nicht mehr frei. Aber sie fühlte sich leicht, Göttin auf der Wolke, Fisch im Wasser, verloren im Glück. Verloren, weil diese feinen Haare, diese Stricke, die Rene alle in seiner Hand hielt, das einzige Kraftnetz waren, durch das seither der Strom ihres Lebens floß. Das war nur allzu wahr, denn wenn Rene seinen Griff lockerte - oder sie es sich einbildete - wenn er abwesend schien oder sich, voll Gleichgültigkeit, wie O glaubte, von ihr entfernte, oder wenn er sich nicht mit ihr traf oder ihre Briefe nicht beantwortete und sie glaubte, er wolle sie nicht mehr sehen, oder seine Liebe sei im Schwinden oder er liebe sie überhaupt nicht mehr, erstarb alles in ihr, erstickte sie.
    Das Gras wurde schwarz, der Tag war kein Tag mehr, die Nacht keine Nacht, nur noch teuflische Erfindungen, die abwechselnd hell und dunkel erzeugten, um sie zu quälen. Vom frischen Wasser wurde ihr übel. Sie fühlte sich als Aschensäule, bitter, unnütz und verdammt, wie die Salzsäulen von Gomorrha. Denn sie war schuldig. Wer Gott liebt, und wen Gott verläßt in der finsteren Nacht, ist schuldig, weil er verlassen ist. Er sucht in der Erinnerung nach seinen Fehlern. Sie suchte nach den ihren.
    Sie entdeckte nur dann und wann ein flüchtiges und mehr in ihrer Veranlagung liegendes, als in ihren Handlungen zutage tretendes Gefallen an den Begierden, die sie bei anderen Männern als Rene weckte, bei Männern, denen sie überhaupt nur Aufmerksamkeit schenkte aus dem Übermaß des Glücks, mit dem Renes Liebe, die Gewißheit, Rene zu gehören, sie erfüllten, und weil die völlige Hingabe an ihn, in der sie lebte, sie unverwundbar, unverantwortlich machte und alle ihre Handlungen belanglos - aber welche Handlungen?
    Sie hatte sich doch nur Gedanken vorzuwerfen, flüchtige Versuchungen. Dennoch stand außer Zweifel, daß sie schuldig war und daß Rene sie, ohne es zu wollen, für einen Fehler strafte, den er nicht kannte (denn er blieb in ihrem Inneren verborgen), den Sir Stephen dagegen augenblicklich entdeckt hatte: die Lüsternheit.
    O war glücklich, daß Rene sie peitschen ließ und sie anderen Männern auslieferte, weil ihre leidenschaftliche Unterwerfung ihrem Geliebten bewies, daß sie ihm gehörte, aber auch, weil der Schmerz und die Schande der Peitsche, und die Schmach, die ihr von denen zugefügt wurde, die sie zur Lust zwangen, wenn sie nahmen, selbst Lust empfanden, ohne sich um die ihre zu kümmern, ihr wie eine Sühne für ihre Fehler vorkamen.
    Umarmungen, die ihren Brüsten unerträgliche Beschimpfung antaten, Münder, die sich wie weiche und widerliche Blutegel an ihren Lippen und an ihrer Zunge festgesaugt hatten und Zungen und Genitalen, klebrige Tiere, die sich an ihren geschlossenen Mund, in die mit aller Gewalt zusammengepreßte Furche ihres Schoßes und ihrer Lenden gedrängt und sie vor Abscheu hatten steif werden lassen, so sehr, daß die Peitsche kaum genügte, um sie wieder gefügig zu machen, und denen sie sich schließlich doch geöffnet hatte, mit furchtbarem Ekel und furchtbarer Willfährigkeit. Und wenn Sir Stephen recht hätte? Wenn die Erniedrigung ihr lieb wäre? Nun, je tiefer diese Entwürdigung war, um so größer war Renes Gnade, wenn er dennoch geruhte, O zum Instrument seiner Lust zu machen.
    Als Kind hatte sie, an der weißen Wand eines Zimmers in Wales, wo sie zwei Monate lang gewohnt hatte, in roten Lettern einen Bibelspruch gesehen, wie die Protestanten ihn gern in ihren Häusern anbringen: Schrecklich ist es, lebend in Gottes Hand zu fallen. -

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