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Pauline Reage - Geschichte der O

Pauline Reage - Geschichte der O

Titel: Pauline Reage - Geschichte der O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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die große Tasse Kaffee zu sich, die O ihr gerade noch bereiten konnte und ließ sich mechanisch lächelnd und wütend starrend die Fingerspitzen küssen. O war süß und lau in ihrem weißen Morgenrock aus Vicunawolle, mit gebürstetem Haar und gewaschenem Gesicht, dem Aussehen eines Menschen, der sich gleich nochmals Schlafen legt.
    Aber das tat sie nicht. O hatte noch nicht gewagt, Jacqueline den Grund dafür zu erklären. An den Tagen, an denen Jacqueline in das Studio nach Boulogne ging, um die Zeit, zu der die Kinder zur Schule gehen und die kleinen Angestellten in ihre Büros, zog auch O, die früher tatsächlich fast den ganzen Vormittag zu Hause geblieben war, sich an: »Ich schicke Ihnen meinen Wagen«, hatte Sir Stephen gesagt, »er wird Jacqueline nach Boulogne bringen und danach Sie abholen.«
    O begab sich also jeden Morgen zu Sir Stephen, wenn die Sonne in den Straßen erst die Ostseite der Häuser traf; die anderen Mauern waren kühl, aber in den Gärten wurden die Schatten unter den Bäumen kürzer. In der Rue de Poitiers war der Haushalt noch nicht in Schwung. Norah, die Mulattin, führte O in das Zimmer, wo Sir Stephen sie am ersten Abend allein hatte schlafen und weinen lassen, wartete, bis O ihre Handschuhe, die Tasche und die Kleider auf dem Bett abgelegt hatte, nahm alles und verwahrte es vor O in einem Wandschrank, dessen Schlüssel sie an sich nahm, dann gab sie O hochhackige Lackpantöffelchen, die beim Gehen klapperten und ging ihr voraus, öffnete ihr die Türen, führte sie vor Sir Stephens Büro, trat zurück und ließ sie hineingehen.
    O gewöhnte sich niemals an diese Vorbereitungen und sich vor dieser geduldigen Frau auszuziehen, die nie zu ihr sprach und sie kaum ansah, erschien ihr genauso gräßlich, wie nackt vor den Blicken der Diener in Roissy zu stehen.
    Auf Filzpantoffeln, wie eine Nonne, glitt die Mulattin geräuschlos dahin. Während sie ihr folgte, vermochte O den Blick nicht von den beiden Zipfeln ihres Kopftuchs zu wenden und von der braunen, mageren Hand, die sich, sooft sie eine Tür öffnete, um den Porzellanknauf legte und hart zu sein schien wie altes Holz. Zugleich empfand O dank eines, dem Schrecken genau entgegengesetzten Gefühls, das die Alte ihr einflößte - O konnte sich diesen Widerspruch nie erklären - eine Art Stolz, weil diese Dienerin Sir Stephens (Was war sie für Sir Stephen und warum betraute er sie mit dieser Rolle der Kupplerin, für die sie so gar nicht geschaffen schien?) sah, daß auch sie, O, - wie vielleicht so manche andere, die genau so von der Alten zu ihm geführt wurden, wer weiß - würdig war, Sir Stephen zu dienen.
    Denn Sir Stephen liebte sie vielleicht, liebte sie ohne Zweifel, und O fühlte, daß der Augenblick nicht mehr fern war, wo er es ihr nicht mehr zu verstehen geben, sondern es ihr sagen würde doch im gleichen Maß, in dem seine Liebe zu ihr oder sein Verlangen nach ihr wuchsen, stellte er auch immer größere Forderungen an ihre Geduld, ihre Ausdauer, ihre Genauigkeit. Er behielt sie ganze Vormittage lang bei sich, berührte sie manchmal kaum, verlangte nur, daß sie ihn mit dem Mund berührte und sie tat alles, worum er sie bat mit einer Dankbarkeit, die um so größer war, je mehr die Bitte die Form eines Befehls annahm.
    Jede Hingabe war ihr die Garantie dafür, daß man eine noch weitergehende Hingabe von ihr fordern werde, sie entledigte sich ihrer wie einer Schuld; seltsam, daß es sie überglücklich machte, aber das war sie.
    Sir Stephens Büro lag über dem gelb und grauen Salon, wo er sich des Abends aufhielt und war kleiner und niedriger. Es stand weder Sofa noch Liege darin, nur zwei mit geblümtem Gobelin bezogene R,gence-Sessel. Dorthin setzte O sich manchmal, doch meist wollte Sir Stephen sie ganz in der Nähe haben, in Reichweite, und auch während er sich nicht mit ihr beschäftigte, mußte sie zu seiner Linken auf dem Schreibtisch sitzen.
    Der Schreibtisch stand senkrecht zur Wand. O konnte sich an die Regale lehnen, die Wörterbücher und gebundene Adreßbücher enthielten. Das Telephon stand neben ihrem linken Schenkel und sie fuhr zusammen, sooft es klingelte. Sie nahm den Hörer ab, meldete sich, sagte: »Wer spricht, bitte?« wiederholte den Namen mit lauter Stimme, gab das Gespräch entweder an Sir Stephen weiter oder sagte, er sei nicht zu sprechen, je nach dem Zeichen, das er ihr machte.
    Wenn er einen Besucher empfangen mußte, meldete die alte Norah ihn an, Sir Stephen ließ bitten, zu warten,

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