Pauline Reage - Geschichte der O
inzwischen führte Norah O wieder in das Zimmer, wo sie sich ausgezogen hatte und wo Norah sie wieder abholte, wenn der Besucher fort war und Sir Stephen klingelte.
Da Norah allmorgendlich mehrmals das Arbeitszimmer betrat und verließ, sei es, um Sir Stephen Kaffee zu bringen oder die Post, sei es, um die Jalousien hochzuziehen oder herunterzulassen oder die Aschenbecher zu leeren, und da sie allein die Erlaubnis hatte, das Zimmer zu betreten, aber auch den Befehl, niemals anzuklopfen, passierte es, daß O einmal gerade über dem Schreibtisch lag, Kopf und Arme auf den Lederbelag gestützt, Kruppe hochgereckt, als Norah eintrat.
Sie hob den Kopf. Hätte Norah sie, wie sonst, nicht angesehen, so hätte O nicht weiter darauf geachtet. Doch dieses Mal war es klar, daß Norah Os Blick begegnen wollte. Die glänzenden, harten schwarzen Augen, von denen man nicht wußte, ob sie gleichgültig waren oder nicht, das zerfurchte und unbewegliche Gesicht, machten O so befangen, daß sie zu einer Bewegung ansetzte, um sich Sir Stephen zu entziehen.
Er begriff, preßte ihre Taille mit einer Hand fest auf den Tisch, so daß sie nicht entschlüpfen konnte, öffnete sie mit der anderen. Sie, die sich ihm sonst stets willig darbot, wurde unwillkürlich verkrampft und eng und Sir Stephen mußte Gewalt anwenden. Selbst als er in sie geglitten war spürte sie noch, daß der Muskelring sich fest um ihn schloß und er Mühe hatte, ganz in sie einzudringen.
Er zog sich erst aus ihr zurück, nachdem der Weg bequem geöffnet war. Dann, kurz eh er sie wieder nahm, sagte er zu Norah, sie könne warten und O zum Ankleiden führen, wenn er mit ihr fertig sei.
Doch bevor er sie wegschickte, küßte er O zärtlich auf den Mund. Und dieser Kuß gab ihr den Mut, ihm ein paar Tage später zu sagen, daß sie sich vor Norah fürchte.
»Das hoffe ich sehr«, sagte er. »Und wenn Sie - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - bald mein Zeichen und meine Eisen tragen werden, dann werden Sie noch weit mehr Grund für diese Furcht haben. »Warum?« sagte O und welches Zeichen und welche Eisen? - Ich trage bereits diesen Ring »Das besorgt Anne-Marie, der ich versprach, daß ich Sie ihr zeigen würde. Wir werden nach Tisch zu ihr fahren. Ist es Ihnen recht? Ich bin mit ihr befreundet und Sie wissen, daß ich Sie bisher mit keinem meiner Freunde bekanntgemacht habe. Wenn Sie aus ihren Händen kommen, werde ich Ihnen gute Gründe geben, vor Norah Angst zu haben.«
O wagte nicht, weiterzufragen. Diese Anne-Marie, die man ihr androhte, beunruhigte sie noch mehr als Norah. Von ihr hatte Sir Stephen bereits bei jenem Mittagessen in Saint-Cloud gesprochen. Und es stimmte, daß O mit keinem der Freunde, keinem der Bekannten Sir Stephens zusammengekommen war.
Sie lebte im Grunde in Paris, in ihr Geheimnis eingesperrt, wie man in ein Bordell eingesperrt ist; den einzigen Menschen, denen ihr Geheimnis ausgeliefert war, Rene und Sir Stephen, war zugleich auch ihr Körper ausgeliefert. Sie dachte, daß der Ausdruck, offen sein, will heißen, sich ohne Rückhalt jemandem anvertrauen, für sie nur einen einzigen und zwar buchstäblichen Sinn hatte, einen physischen und absoluten Sinn, denn an ihrem Körper war tatsächlich alles offen, was sich öffnen ließ.
Es schien überdies, daß darin ihr Daseinszweck lag, Sir Stephen war sich darin mit Rene einig, denn wenn er von seinen Freunden sprach, wie er es in Saint-Cloud getan hatte, so nur um ihr zu sagen, daß sie allen, mit denen er sie bekanntmachen würde, selbstverständlich zur Verfügung stehen müsse, wenn sie das wünschten.
Unter Anne-Marie und dem, was Anne-Marie mit ihr tun sollte, konnte O sich nichts vorstellen, selbst ihr Erlebnis in Roissy half ihrer Phantasie nicht auf die Sprünge. Sir Stephen hatte auch gesagt, er wolle sehen, wie sie eine Frau berühre, ging es darum? ( Aber er hatte ausdrücklich gesagt, daß es sich um Jacqueline handle … ) Nein, darum ging es nicht. »Sie ihr zeigen«, hatte er gesagt. Genau. Aber als sie Anne-Marie verließ, wußte O so wenig wie zuvor.
Anne-Marie wohnte in der Nähe des Observatoriums, in einer Wohnung neben einer Art großem Atelier im obersten Stockwerk eines neuen Wohngebäudes hoch über den Baumwipfeln. Sie war eine schlanke Frau in Sir Stephens Alter, das schwarze Haar mit grauen Locken durchsetzt. Die Augen von einem so tiefen Blau, daß sie schwarz wirkten.
Sie bot Sir Stephen und O zu trinken an, einen sehr schwarzen Kaffee in winzigen Täßchen,
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