Pauline Reage - Geschichte der O
O, die schon gezweifelt hatte, ob er sie überhaupt noch begehrte - das letzte Mal lag schon so lange zurück - sah darin einen Beweis seiner Liebe.
»Es ist dumm von dir, sagte er danach zu ihr, daß du nicht mit Jacqueline sprechen willst. Wir brauchen sie in Roissy, es wäre viel einfacher, wenn du sie mitbringen würdest. Außerdem, wenn du von Anne-Marie kommen wirst, kannst du deine wahre Situation nicht mehr vor ihr verbergen.«
O fragte warum.
»Das wirst du schon sehen«, erwiderte Rene. »Du hast noch fünf Tage Zeit, nur noch fünf Tage, denn Sir Stephen beabsichtigt, fünf Tage, eh du zu Anne-Marie geschickt wirst, dich wieder täglich auszupeitschen, die Spuren werden zweifellos zu sehen sein. Wie willst du das Jacqueline erklären?«
O antwortete nicht. Rene wußte ja nicht, daß Jacqueline an O nur die Leidenschaft interessierte, die O ihr bezeugte, daß sie sie niemals ansah. Und wenn sie mit Peitschenwunden bedeckt wäre, wurde es genügen, daß sie sich nie vor Jacqueline badete und immer ein Nachthemd anzog. Jacqueline würde nichts sehen. Sie hatte nicht bemerkt, daß O keinen Slip trug, sie bemerkte überhaupt nichts: O interessierte sie nicht.
»Hör zu«, fuhr Rene fort, »eines wenigstens wirst du ihr auf jeden Fall sagen und zwar sofort: daß ich in sie verliebt bin«. »Und stimmt das?« sagte O. »Ich will sie haben«, sagte Rene, »und weil du nichts tun kannst oder nichts tun willst, werde ich alles nötige tun«. Nach Roissy würde sie nie gehen, sagte O. »Nein?« sagte Rene. »Na schön, dann wird man sie dazu zwingen.«
Am Abend, nach Einfall der Dunkelheit, als Jacqueline schon im Bett lag und O die Decke zurückgeschlagen hatte, um sie im Lampenlicht anzuschauen, nachdem sie ihr gesagt hatte, und zwar sogleich, »Rene ist in dich verliebt«, wiederholte sie sich Renes letzte Worte, und der Gedanke, diesen zarten und schmalen Körper unter der Peitsche zu sehen, diesen engen Schoß gespreizt, den reinen Mund schreiend geöffnet und den Flaum dieser Wangen von Tränen verklebt, dieser Gedanke, der noch vor einem Monat solches Grauen in ihr erweckt hatte, machte sie jetzt glücklich.
Nachdem Jacqueline abgereist war und sicherlich erst Anfang August, nach Beendigung der Dreharbeiten an dem Film, bei dem sie mitwirkte, zurückkommen würde, hielt O nichts mehr in Paris. Der Juli war nah, in allen Gärten standen die scharlachroten Geranien in voller Blüte, alle Markisen an den Südseiten waren heruntergelassen, Rene seufzte, daß er nach Schottland fahren müsse. O hoffte einen Augenblick lang, daß er sie mitnehmen werde.
Doch er nahm sie niemals zu seiner Familie mit und außerdem wußte sie, daß er sie Sir Stephen überlassen wurde, falls dieser den Wunsch äußerte. Sir Stephen ließ wissen, daß er sie am Tag von Renes Abflug nach London abholen werde. Sie hatte Urlaub.
»Wir fahren zu Anne-Marie, sagte er, sie erwartet Sie. Nehmen Sie keinen Koffer mit, Sie brauchen nichts.« Es war nicht die Wohnung beim Observatorium, wo O Anne-Marie zum ersten Mal gesehen hatte, sondern ein niedriges Haus hinter einem großen Garten, am Saum des Waldes von Fontainebleau. O trug seit damals das fischbeinversteifte Taillenmieder, das Anne-Marie so unerläßlich erschienen war: sie schnürte es jeden Tag enger, man konnte ihre Taille jetzt beinah mit den Händen umspannen, Anne-Marie würde zufrieden sein.
Als sie ankamen, war es zwei Uhr mittags, das Haus schlief und der Hund bellte leis, als die Glocke anschlug: ein großer flandrischer Schäferhund mit struppigem Fell, der Os Knie unter ihrem Kleid beschnüffelte. Anne-Marie saß unter einer Rotbuche am Ende des Rasens, der in einer Ecke des Gartens unter den Fenstern ihres Zimmers lag. Sie stand nicht auf. »Hier ist O, sagte Sir Stephen, Sie wissen, was Sie mit ihr machen sollen, wann wird es soweit sein?«
Anne-Marie sah O an. »Sie haben ihr noch nichts gesagt? Gut, ich werde sofort anfangen. Wir müssen dann wohl mit zehn Tagen rechnen. Ich nehme an, Sie wollen die Ringe und die Buchstaben selbst anbringen?
Kommen Sie in vierzehn Tagen wieder. Danach wird nach weiteren vierzehn Tagen sicherlich alles fertig sein.« O wollte sprechen, eine Frage stellen. »Einen Augenblick, O«, sagte Anne-Marie, »geh hier in dieses Zimmer, zieh dich aus, behalte nur die Sandaletten an und komm wieder her.«
Das Zimmer war leer, ein großes, weißes Zimmer mit violetten Gardinen aus Jouy-Leinen. O legte Tasche, Handschuhe und Kleider auf
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