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Paul's Blog

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Titel: Paul's Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Bongard
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dieser Steinzeitkamera. Meine Mutter musste mir zeigen, wie man den Film einlegt. Man muss alles selber einstellen und den Film mit Hand weiterdrehen. Vielleicht gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, die Filme zu entwickeln, wenn Bauer stirbt. Aber dieses ganze manuelle Einstellen ist auch cool. Ich kann Bauer mit Absicht unscharf fotografieren. Ich drehe ihn immer unschärfer. Ein langsamer Auflösungsprozess bis er aussieht wie ein Geist, alles verschwommen. Ich verknipse zwei Filme, dann ist Bauer müde. Dabei sitzt er einfach nur rum. Aber vielleicht entzieht ihm das Fotografiertwerden auch Energie. Könnte ich glatt glauben.
    Weil ich Hunger habe, gehe ich in die Cafeteria und hole mir Kuchen und Fassbrause. Der Kuchen schmeckt wie kalter Sand und die Fassbrause nach altem Bier. Muss denn alles in einem Altersheim alt sein? Treffe Hans. Er setzt sich zu mir. Irgendwie hat sich das Bauer-Projekt schon rumgesprochen. So ein Altenheim hat das ideale Klima für Gerüchte. Warm und stickig. Ich denke, Hans hat was gegen die Sache (immerhin weiß er von dem anderen Projekt) aber er findet es okay. Je mehr die Alten zu tun haben, desto besser. Ich finde, das erinnert an diese Beschäftigungsprogramme, die man sich im Zoo für die Tiere ausdenkt, damit sie nicht so deprimiert sind. Lass mich nie in einem Altenheim enden!
    Hans schlägt vor, dass ich auch ein paar andere Leute hier fotografieren soll und dann könnte man eine Ausstellung oder sowas in den Gängen machen. Ich hasse Ausstellungen in Krankenhäusern, Bibliotheken und Altenheimen. Sie sind immer unglaublich seicht und mies und ziehen einen runter. Da müsste schon was ganz Krasses hängen, um die fiese Atmosphäre auszugleichen. Graffitis, am besten gleich auf die Wand gesprayt. Bilder die den Puls nach oben treiben. Aber genau so etwas hängt da nie. Stattdessen Blumenstillleben und Landschaften und all dieses flache, beruhigende Zeug. Oder schwarz-weiß Fotos von mexikanischen Flüchtlingen oder Indianderfrauen oder was weiß ich. Aber vielleicht überlege ich es mir. Es macht mehr Spaß, diese Fotos zu machen, wenn man weiß, was man anschließend damit macht.
    Ganz beiläufig fragt Hans nach den anderen. Ich erzähle ihm, dass Theo Besuch von Verwandten hat und Max mehr für die Schule machen muss.
    - Ist der eigentlich mit Feli zusammen?, fragt Hans. Dabei hat er diesen Großer-Bruder-Blick. Starrt mich an, als ob ich ihm das Führungszeugnis von Max geben könnte. Und irgendwie verdirbt mir das den ganzen Tag. Ist das mein Leben? Erst Schule, dann einen alten Mann fotografieren und am Ende Auskunft über das Liebesleben von Max geben? Scheiße .
    Komme zu dem Schluss, dass Alter ansteckend ist. Ein paar Stunden in diesem Heim und ich gehe schon wie ein alter Mann. Schlurfe zu meinem Rad, keuche den Weg nach Hause. Als nächstes schaffe ich mir ein Blutdruckgerät (von Tschibo) an und messe jeden Abend meinen Puls. Wenn man so alt ist, wie man sich fühlt, bin ich 60. Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist nicht gesund. Könnte ein Grund dafür sein, warum so wenig darüber geredet wird. Und warum spricht man eigentlich nicht in der Schule über diese Dinge? Was lernt man denn da für's Leben??
     
    Montag
    April 21 2008 at 7:42pm
    Habe jetzt jeden Montag eine feste Verabredung mit Bauer. Eigentlich mag ich das nicht, aber Hans hat mir erklärt, dass alte Menschen einen gewisse Regelmäßigkeit und Routine brauchen (warum erinnert mich das wieder an den Zoo?). Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht genau umgekehrt ist. Bauer braucht Abwechslung. Deswegen machen wir doch dieses Fotoprojekt zusammen. Aber ich widerspreche Hans nicht, er ist hier der Experte.
    Die ersten Fotos sind schon entwickelt. Bauer hat sie sich angesehen und meinte, er braucht eine neue Brille. Dann hat er gemerkt, dass die Unschärfe eine künstlerische Entscheidung ist, aber nicht gesagt, wie er es findet. Ist ja auch egal.
    Ich habe Theo von der Fotosache erzählt und er ist vollkommen ausgerastet, weil ich mein Ding mit Bauer mache. Dabei hat er sich, genau wie Feli und Max, seit Wochen nicht mehr im Heim sehen lassen.
    Als ich Hans frage, warum Feli nicht mehr kommt, erzählt er mir, dass sie den A1 Führerschein macht. Und mir fällt wieder ein, warum ich hier blogge, warum ich im Altenheim bin, dass mich immer noch jeder in der Schule Porno nennt und schätze, dass ich manchmal meine Ziele einfach aus den Augen verliere.
    Ich meine, ja, toll, am Ende fährt jeder

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