Pechvogel: Roman (German Edition)
schnell alles Geld aus der Tasche. Aber es bietet eben einen Rausch, der es mit dem Hochgefühl nach rund vier Gramm Koks oder einer Ecstasy-Pille aufnehmen kann. Für gewöhnlich hat man keinen Kater, aber ich kenne einige, die Entzugserscheinungen wie das Glückszittern erlebt haben. Und auch wenn die aktuellen Marktpreise eine andere Sprache sprechen, ist Glück vorrangig die Droge der Reichen und Privilegierten.
Man sollte meinen, dass jemand, der schon reich ist, nicht noch mehr Glück braucht, aber der Markt gibt nun einmal vor, dass sich Glück nur diejenigen leisten können, die ausreichend Bares zur Verfügung haben. Insbesondere Mittleres und Großes Glück. Also werden die Reichen immer reicher, während der Rest von uns in die Röhre schaut. Oder sich mit Hackfleischomelett zufriedengeben muss.
Seit meiner Ankunft in San Francisco hatte ich nur eine Handvoll Kunden, die meisten davon Glücksjunkies. Abhängige, die am Glück klebengeblieben sind und ständig dem nächsten Rausch entgegenfiebern, sich aber nur das Billigste vom Billigen leisten können. Rindfleisch mit Orange habe ich schon seit Monaten nicht mehr verkauft. Und die Meeresfrüchte sind aus, seit ich hier bin.
»Ich nehme eine Portion Rindfleisch mit Orange«, sagt der Käufer. »Wie schnell können Sie liefern?«
Ich kann mir nicht helfen: Nach dem Freundschaftsbesuch von Tommy Wongs Männern frage ich mich, ob das nicht eine Falle ist. Andererseits wähle ich generell öffentliche Orte für die Übergabe aus – das verringert die Chance einer unliebsamen Überraschung. Und momentan kann ich es mir schlicht nicht leisten, zehntausend Dollar in den Wind zu schreiben.
Außerdem glaube ich seit dem Besuch von Tuesday Knight und dem Umschlag voller Geld, den sie mir auf den Schreibtisch geworfen hat, dass ich eine Glückssträhne habe.
Ich vereinbare die Lieferung des Mittleren Glücks für zehn Uhr. Das gibt mir etwa eine Stunde, um die Ware aus meinem Apartment zu holen und den Kunden am vereinbarten Übergabeort zu treffen. Reichlich verbleibende Zeit also, um vorher noch herauszufinden, wohin Tuesday unterwegs ist. Denn es interessiert mich wirklich brennend, wer dieser Freund eines Freundes ist, der sie zu mir geschickt hat.
Nennen Sie es eine Art sechsten Sinn, aber meine Wilderer-Intuition sagt mir, dass diese Frau etwas zu verbergen hat.
Kapitel 6
I ch lege auf und spähe über die Straße. Wo Tuesday wohl bleibt? Der Starbucks direkt gegenüber lockt mich wie die Sirenen Odysseus. Gerade als ich mich frage, ob mir genug Zeit für einen schnellen Cappuccino bleibt, ohne dass ich an den Klippen zerschelle, taucht Tuesday auf. Sie überquert die Stockton Street und erklimmt die Stufen zum Union Square. Also passiere ich die Hauptfiliale von Levi Strauss und nehme den Ampelübergang. Bei meiner Verfolgung von Tuesday achte ich weiterhin darauf, hinter ein paar Palmen und französischen Touristen in Deckung zu bleiben, bis ich die bepflanzte Mauer erreiche.
Von dort aus sehe ich zu, wie Tuesday zu einem der Tische beim Café Rulli geht, Platz nimmt und etwas bestellt. Die Bedienung ist noch nicht ganz verschwunden, als Tuesday ihr Handy zückt, eine einzige Taste drückt und zu telefonieren beginnt.
Von meinem Versteck aus kann ich sie unentdeckt beobachten, höre aber dummerweise kein einziges Wort ihrer Unterhaltung, und mit meinen Lippenlesekenntnissen ist es auch nicht sonderlich weit her. Ich habe nicht versucht, mich vor meiner Verfolgungsjagd optisch zu verändern, und ich habe nicht mal eine Kamera dabei, um Fotos zu schießen. Wie es scheint, bin ich ein wirklich lausiger Privatdetektiv.
Man sollte denken, dass jemand, dessen Hauptbeschäftigung die Glückswilderei ist, ein deutlich glamouröseres Leben führen sollte. Anstatt hinter Touristen in Deckung zu gehen. Anstatt sich nebenbei als Privatdetektiv durchschlagen zu müssen, um die Miete zahlen zu können. Anstatt Lucky Charms zum Frühstück zu essen. Fast kann ich meinen Vater spöttisch lachen hören: Das ist also aus dir geworden, Sohn! War ja nicht anders zu erwarten.
Ohne Frage: Auch ich habe mir mein Leben etwas anders vorgestellt. Aber nicht alle Wilderer sind wie ich. Einigen geht es besser, anderen schlechter. Einige bringen es noch nicht mal so weit wie ich. Viele Wilderer ertragen die damit verbundene Einsamkeit nicht und nehmen sich schließlich das Leben. Auch wenn es keine offiziellen Statistiken darüber gibt, liegt die durchschnittliche
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