Pechvogel: Roman (German Edition)
anderem interessiert als daran, möglichst schnell möglichst viel Geld zu machen.
Mit mehr als einem Dutzend Kasinos und Spielsalons im Zentrum von Reno und zwei weiteren Dutzend in den Randgebieten und im nahe gelegenen Ort Sparks kann ich pro Tag dreißig Mille machen, ohne bei irgendjemandem Verdacht zu erwecken. Das ist natürlich nur eine kurzfristige Lösung. Nur eine schnelle Auszahlung, um damit ein größeres Geschäft aufzubauen. Ich kann hier nicht länger als ein paar Tage bleiben, denn Orte wie Reno und Vegas sind ein gefundenes Fressen für Glücksdiebe. Und deshalb ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kommt, sich hier nach mir umzusehen.
Aber das ist nicht der einzige Grund, aus dem ich hier nicht bleiben darf. Ich kann nicht weiter gewinnen und trotzdem erwarten, dass man mich davonkommen lässt. Erfolg macht Leute misstrauisch – insbesondere, wenn Erfolg bedeutet, dass du mit Geld weggehst, das ihnen gehört. Du kannst zwar deine Beutezüge auf viele Kasinos verteilen, aber du kannst eben höchstens ein paarmal mit dem Geld des Hauses verschwinden, bevor es jemandem auffällt.
Außerdem ist es mit einer Fähigkeit wie der meinen schwierig zu vergessen, was du alles tun kannst. Deine Fähigkeiten nicht nur zu kennen, sondern auch einzusetzen, das ist wie Atmen oder Schlafen oder eine Erektion. Es passiert einfach. Es ist ein natürlicher Teil von dem, was ich bin. Ich habe keine Ahnung, wie Mandy es schafft, der Versuchung zu widerstehen. Obwohl es wahrscheinlich leichter wäre, wenn ich mich nicht in einer Stadt aufhalten würde, die das Glück so stark anzieht wie eine Single-Bar die Verzweifelten.
Jeden Tag sehe ich Leute, die einen vollen Jackpot knacken oder Glückssträhnen beim Würfeln oder beim Roulette haben. Dutzende potenzielle Opfer mit Mittlerem Glück und erstklassigem weichem Glück höchster Güte. Und ich ringe Tag für Tag mit mir und meinem Wunsch, ihnen dieses Glück auch zu stehlen. Es nicht zu tun ist, als wäre man in Disneyland und dürfte nicht in die Fahrgeschäfte gehen.
Also packe ich nach drei Tagen Zwischenstopp in Reno und mit etwas über hundert Mille in der Tasche alles zusammen und fahre auf der Interstate 80 gen Osten, nach Utah. Ich weiß noch nicht, wohin es mich treiben wird. Vielleicht nach Colorado Springs oder nach Santa Fe oder nach Austin. Oder vielleicht nach New Orleans. Da wollte ich immer schon mal wohnen. Dass diese Stadt bereits das Gebiet eines anderen Wilderers sein dürfte, ist ziemlich wahrscheinlich, aber sicher wird niemand etwas dagegen haben, dass ich eine Detektei eröffne und es mit einem neuen, ehrbaren Leben versuche. Dass ich versuche, clean zu werden.
Mir ist klar, dass ein langer Weg vor mir liegt, aber nach allem, was durch meine Hilfe in San Francisco ruiniert wurde, glaube ich, dass ich es schaffen könnte, irgendwo anders etwas Gutes aufzubauen. Den Kosmos wieder auszubalancieren. Das Karma. Was auch immer. Ich schulde es Mandy und Jimmy und Doug, es wenigstens zu versuchen. Verdammt, ich schulde es mir selbst.
Alle Wilderer haben Erfahrung darin, sich an Veränderungen anzupassen. Sich selbst zu verändern und Dinge loszulassen. Jede neue Identität ist nur ein Anzug, den du trägst, eine Rolle, die du für ein paar Jahre übernimmst, für fünf vielleicht, wenn du Glück hast. Und dann ist es wieder an der Zeit, zur nächsten zu wechseln.
Gib dein Leben auf. Werde ein anderer. Und dann das Ganze noch einmal von vorn.
Ich hoffe, dass ich diesmal einen neuen Anzug anziehen kann, der meinem neuen Selbst passt. Dass ich aufhören kann, von Stadt zu Stadt und von Identität zu Identität zu ziehen, und etwas finden kann, das etwas bedeutet. Jemanden finden kann, der etwas bedeutet. Mir ein Leben aufbauen kann, das einen echten Sinn hat – jenseits der Antwort auf die Frage: »Was springt für mich dabei heraus?« Dass ich aus der Haut meines früheren Selbst schlüpfen und entdecken kann, dass es mehr im Leben gibt, als ein Glückswilderer zu sein.
Vermutlich würde mein Vater mir ins Gesicht lachen, mir eine Ohrfeige verpassen, die Popeyes würdig wäre, und ein für alle Mal klarstellen, dass ich das bin, was ich bin – und dass das auch schon alles ist, was ich zu sein imstande bin. Dass ich nie mehr sein werde als eine Verschwendung von Kohlenstoff. Eine Enttäuschung. Vielleicht nicht ganz gewöhnlich, aber trotzdem ein Dieb.
Wenn es etwas gibt, das ich wirklich will, dann ist es, zu
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