Pechvogel: Roman (German Edition)
Stockton-Street-Tunnel in Richtung Chinatown fährt, denn sehe ich Glatze, der die Straßenseite wechselt und hinter der Ecke des Hyatt verschwindet. Schnell stecke ich Tuesdays Karte ein und folge Glatze die Sutter runter zur Powell Street, wo er abbiegt und schließlich das Sir-Francis-Drake-Hotel betritt. Ich passiere den Eingang, vorbei an zwei Portiers, die wie die königliche Leibgarde kostümiert sind, ununterbrochen miteinander quatschen und Türen öffnen. Dann mache ich kehrt und postiere mich auf der anderen Straßenseite.
Glatze taucht nicht wieder auf. Kurz überlege ich, ob ich hier draußen auf ihn warten oder ihm einfach ins Innere folgen soll. Doch bis zum Glücksübergabetermin um zehn bleibt mir nur noch eine knappe halbe Stunde, und ich kann nicht riskieren, das Geschäft platzen zu lassen. Also nehme ich mir ein Taxi und weise den Fahrer an, mich zu meinem miesen Mini-Apartment an der Marina, dem Jachthafen, zu bringen.
»Ich wusste gar nicht, dass es an der Marina überhaupt miese Apartments gibt«, sagt er.
»Ich hatte Glück«, erwidere ich. »Hab das letzte bekommen.«
»Wie lautet denn die Adresse?«
Ich lebe in einer Einzimmerwohnung im dritten Stock eines vierstöckigen Gebäudes an der Lombard Street, direkt neben einer Reinigung und gegenüber von einem Stundenmotel. Das Haus als heruntergekommen zu bezeichnen wäre noch geschmeichelt, und die Wohnung ist nicht gerade meine Traumwohnung. Aber manchmal muss man eben nehmen, was man kriegen kann. Beziehungsweise die Suppe auslöffeln, die man sich eingebrockt hat.
Ich sage mir immer wieder, dass es nur vorübergehend ist. Dass ich eines Tages in einem Penthouse leben werde oder zumindest in einem gepflegten Komplex mit ruhigen Nachbarn, doppelt verglasten Fenstern und einem Hausflur ohne Uringeruch. Aber bis es so weit ist, muss ich mich weiterhin mit den Konsequenzen meines Hochmuts herumschlagen.
Als ich aus dem Taxi aussteige, sitzt vor meinem Haus ein Obdachloser neben einer fast leeren Spendenschale und einer schwarzen Katze.
Früher brachte man schwarze Katzen mit Hexen in Verbindung und sah in ihnen daher ein Zeichen für alles Böse der Unterwelt. Bis heute denken viele, dass es ihnen Pech bringt, wenn eine schwarze Katze ihren Weg kreuzt. Die Wahrheit ist: Glück oder Pech werden nicht »erschaffen«. Sie existieren einfach. Und trotzdem laufen die Leute herum und glauben, dass sie die Dinge beeinflussen könnten.
Selbst Wilderer können das Glück nicht manipulieren. Wir sind eher eine Art Verbindungsstück oder Makler, bringen Glück vom Eigentümer zum Käufer. Allerdings reagieren wir nicht nur und ziehen unseren Vorteil aus der jeweiligen Situation: Oft schaffen wir auch die Umstände, die andere dazu bringen, sich an uns zu wenden.
Die Börsencrashs in den Jahren 1929 und 1987 sind nicht einfach so passiert – ebenso wenig das Platzen der Dotcom-Blase, der Enron-Skandal oder die Immobilienkrise. Natürlich haben wir diese Katastrophen nicht inszeniert, aber wir haben dabei geholfen, sie auszulösen. Wenn man genügend Leuten das Glück stiehlt und es an Dritte verkauft, tritt so etwas früher oder später fast unweigerlich ein.
Großvater hat mir sogar von historischen Berühmtheiten erzählt, für deren Niedergang oder Tod Glückswilderer verantwortlich waren.
Marie Antoinette. Richard II.
Abraham Lincoln. Al Capone.
Um nur ein paar zu nennen.
Und wer kann mit Fug und Recht behaupten, dass es nicht schon Glückswilderer vor zweitausend Jahren in Jerusalem gegeben hat? Vielleicht musste Jesus nur für unsere Sünden sterben, weil er die falsche Hand geschüttelt hat.
Ich laufe nach oben, durch die Flure mit der abblätternden Farbe und den fleckigen Teppichen, vorbei an der Tür des Nachbarn, dessen laute Musik den Boden vibrieren lässt. In meinem Apartment öffne ich den Kühlschrank, in dem mich Eier, Speck, Saft, Brot, Gewürze und mehr als ein halbes Dutzend Saftflaschen erwarten: fünfmal Limonade und dreimal Super-Protein, alle etwas mehr als halbvoll. Meine Vanille-Protein-Monster-Flaschen stehen abgewaschen und leer in einem Regal und warten auf Ware.
Seit drei Jahren schon.
Glück wird zwar nicht schlecht, wenn man es nicht gleich einnimmt, und es hat auch kein Haltbarkeitsdatum, aber es hält sich besser, wenn es im Kühlschrank oder an einem kühlen, trockenen Ort gelagert wird.
In den Super-Protein-Flaschen bewahre ich das Mittlere Glück auf, das in etwa die Konsistenz von Milch mit zwei
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