Pechvogel: Roman (German Edition)
Lebenserwartung eines Glückswilderers bei vierzig Jahren. Bleiben mir also noch sieben, um erstmals die Erwartungen zu übertreffen.
Vielleicht hat meine Mutter deshalb nie Glück gewildert. Weil sie die Konsequenzen kannte. Die Risiken, die dieser Weg mit sich bringt. Obschon es am Ende auch nicht gerade dazu geführt hat, dass es für sie rote Rosen geregnet hätte. Wenn man von denen absieht, die jetzt auf ihrem Grab wachsen.
Das ist einer der Gründe, warum ich das gestohlene Glück verkaufe, statt es selbst zu nutzen. Aus Respekt gegenüber meiner Mutter. Würde ich ihre Ideale wirklich hochhalten, dürfte ich meine Gabe gar nicht erst einsetzen. Aber ich kann nicht verleugnen, was ich bin. Es liegt mir im Blut.
Doch wenn ich ganz ehrlich bin, verkaufe ich das von mir gestohlene Glück vor allem deshalb, weil es ziemlichen Ärger geben kann, wenn man versucht, es für sich selbst zu verwenden. Abgesehen vom Suchtfaktor zieht man eine Menge Aufmerksamkeit auf sich, wenn man im Lotto gewinnt, berühmt wird und die Medien landauf, landab von einem berichten. Man muss Interviews geben und dem Finanzamt sein Einkommen offenlegen. Das wäre das Letzte, was ich gebrauchen kann: dass die Steuerfahndung oder irgendwelche Reporter im Interesse der Öffentlichkeit vor meiner Tür stehen. Glücksdiebe, die keine Schwierigkeiten bekommen wollen, halten sich lieber bedeckt. Dummerweise schützen einen auch die besten Vorkehrungen nicht zuverlässig vor den möglichen Folgen.
Jede Entscheidung birgt Gefahren. Einige haben leichte, andere weitaus schwerere Auswirkungen. Wie die Dinge liegen, fallen die meisten meiner Entscheidungen in die »Weitaus-schwerer«-Kategorie. Dem muss man sich stellen, wenn man so geboren wird wie ich. Auch wenn ich die Spannung des Wilderns um nichts in der Welt missen möchte, bin ich mir der Risiken durchaus bewusst. Und obwohl es ja nicht gerade ehrenhaft ist, anderen das Glück zu stehlen, tut man doch, was nötig ist, um die eigenen Taten zu rechtfertigen.
Das Problem beim Glückswildern ist: Früher oder später holt einen das Karma ein. Schließlich kann man anderen nicht ständig etwas fortnehmen, ohne einen Preis dafür zu zahlen.
Während Tuesday also weiter telefoniert und ihr Getränk serviert wird – irgendwas Kaltes, Klares in einem hohen Glas –, fällt mein Blick auf einen großen, glatzköpfigen Weißen, der Zeitung liest und sie von seinem zwei Plätze entfernten Tisch aus betrachtet. Sein Kopf ist rasiert, er trägt eine Sonnenbrille und ist vom kurzärmligen Hemd bis zu den Jeans ganz in Schwarz gekleidet. Wer auch immer der Kerl ist: Er beobachtet Tuesday mindestens genauso interessiert wie ich.
Zehn Minuten lang lasse ich Tuesday und Glatze hinter meiner Deckung aus Pflanzen, Palmen und Touristen nicht aus den Augen. Was auch immer Tuesday zu besprechen haben mag, das Gespräch endet ziemlich abrupt. Energisch schiebt sie den Stuhl zurück, nimmt einen letzten Schluck, steht auf, lässt ihr Glas halbvoll zurück und kommt genau auf mein Versteck zu.
Noch ehe ich mich hinter meine Pflanzen ducken oder hinter einer vierköpfigen Familie aus den Niederlanden verstecken kann, ist Tuesday schon vorbei und auf dem Weg in Richtung Stockton-Street-Tunnel. Offenbar hat sie mich nicht bemerkt. Ich beobachte sie aus dem Augenwinkel und lasse sie den halben Weg zu Starbucks hinter sich bringen, ehe ich ihr folge, wobei ich stets auf der gegenüberliegenden Seite der Straße bleibe. Erst als ich fast auf Höhe des Grand Hyatt bin, fällt mir Glatze auf, der Tuesday gleichermaßen folgt – nur eben auf ihrer Straßenseite.
Was die Frage aufwirft, ob ich der einzige Privatdetektiv bin, der sich für Tuesday Knight interessiert.
Sie überquert die Sutter Street. Vor dem Parkhaus hält sie an, dreht sich um und späht über die Straße. Ich verschmelze spontan mit einer Gruppe chinesischer Touristen – was gar nicht so leicht ist, wenn man sie alle überragt und nicht mal mit viel Wohlwollen als Asiate durchgeht. Als ich wieder hochschaue, winkt Tuesday sich gerade in der Nähe der Bushaltestelle ein Taxi heran und steigt ein.
Ich ziehe ihre Visitenkarte aus der Tasche, finde darauf aber nur ihren Namen und die Nummer eines Festnetzanschlusses. Keine Adresse. Per Internetsuche könnte ich herausbekommen, wo sie wohnt, doch dann wüsste ich noch immer nicht, wohin sie will. Oder was sie vorhat, wenn sie dort ankommt.
Ich starre dem Taxi hinterher, das durch den
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