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Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)

Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)

Titel: Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Reist
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die Karten in absteigender Reihenfolge aufeinanderlegen, die Asse nach oben, eine endlose Schlaufe, die sich nicht unterbrechen liess und vor ihren geschlossenen Augen flimmerte. Beim Zubettgehen hatte sie erste Anzeichen eines Migräneanfalls gespürt und das Medikament eingenommen, das fast immer dafür sorgte, dass die Kopfschmerzen sich in erträglichen Grenzen hielten. Als sie jetzt den Kopf hob, um auf die Uhr zu schauen, wurde ihr sofort schlecht, und sie wusste, dass es diesmal wohl ernst war und ihr nur der Neurologe helfen konnte. Ganz langsam setzte sie sich auf und ging mit hochgezogenen Schultern, ohne den Kopf zu bewegen, ins Badezimmer, um die Tabletten gegen die Übelkeit zu holen. Aber das Wasser, mit dem sie die Pillen schluckte, führte sofort zu einer Rebellion des Magens, der sich drehte und alles wieder von sich gab. Auch einige kleine Schlucke Cola halfen nicht, sie musste sich schon wieder übergeben. Der Schmerz in ihrem Kopf zog sich vom Nacken über die Schläfen bis über das rechte Auge, und dort hämmerte ein ganzes Team von Bauarbeitern in der Absicht, ihre Schädeldecke aufzubrechen.
    Erst halb vier Uhr, und an Schlaf war nicht mehr zu denken, sie musste ihre ganze Energie dafür aufbringen, nicht zu erbrechen. Wenn Nick jetzt hier wäre, würde er mich ins Kantonsspital fahren, aber er schläft sicher, und ich will ihn nicht wecken. Noch fünf Stunden, dann kann ich Doktor Hivatal anrufen, in vier Stunden Nicole, die meine Kunden entweder selbst behandeln oder die Termine verschieben kann. Ich werde es schaffen, die Treppen hoch durch die Altstadt zur Arztpraxis zu gelangen, auch wenn ich mich immer wieder hinsetzen muss und die Leute glauben werden, ich sei betrunken, weil ich mich an jeder Ecke übergebe.
    Marina hatte gelernt, sich mit autogenem Training zu entspannen, aber in den Fängen eines solchen Anfalls schaffte sie es nicht. Sie konnte den Wasserfall der Gedanken nicht aufhalten: die Kundinnen, deren Termine sie nicht einhalten konnte, Nicole, der sie zusätzliche Aufgaben aufbürdete, die administrativen Aufgaben, denen sie sich hatte widmen wollen an diesem Nachmittag. Und dazwischen immer wieder die Karten, die sich nicht in die richtige Ordnung bringen lassen wollten, und die irrationale Angst, dass es diesmal eine Hirnblutung sei. Zwischen Halbschlaf und Aufschrecken schleppte sich die Zeit dahin, bis sie hörte, dass der Verkehr draussen mehr wurde und das Leben der gesunden Menschen seinen morgendlichen Lauf nahm. Um halb acht Uhr telefonierte sie mit Nicole, die versprach, alles zu organisieren, den Neurologen anzurufen und Marina abzuholen. Kurz nach acht Uhr war sie da, half Marina, die sich mühsam angezogen hatte, vom Sofa aufzustehen und brachte sie in die Rathausgasse.
    Doktor Peter Hivatal residierte im zweiten Stock, direkt oberhalb des Kosmetikinstituts, und er kannte die Kopfschmerzgeschichte von Marina. Als sie in die Praxis kam, zusammengesunken, bleich, ein Häufchen Elend, nahm er sie am Arm und führte sie in ein abgedunkeltes Behandlungszimmer. Sie legte sich hin und fühlte sich schon etwas erleichtert: in einer Stunde würde der Anfall wenn nicht vorbei, so doch erträglich sein. Doktor Hivatal hatte die Infusion vorbereitet, und während der Mix aus Schmerzmittel, Antiemetikum und Beruhigungsmittel in die Vene ihres linken Arms tropfte, begann Marina sich allmählich zu entspannen. Die Gedankenwirbel wurden langsamer, der Magen drehte sich nicht mehr bis zum Erbrechen, die Bauarbeiter in ihrem Kopf tauschten den Presslufthammer gegen gewöhnliches Werkzeug. Nach einer halben Stunde kam der weisshaarige Arzt ins Zimmer, kontrollierte die Infusion und schaute Marina mit seinen freundlich blitzenden Augen an.
    „Na, wie fühlen Sie sich?“ fragte er mit seinem ungarischen Akzent und setzte sich auf einen Stuhl neben der Liege. „Jedenfalls sieht Ihr Gesicht schon ganz anders aus als vorhin, die Augen haben wieder normale Grösse und die tiefe Falte auf der Nasenwurzel ist verschwunden. Sie werden wieder zu einer schönen Frau.“
    „Ich fühle mich schon etwas weniger elend, danke“, murmelte Marina, „aber aufstehen kann ich noch nicht.“
    „Das lasse ich auch gar nicht zu, meine Liebe. Ich ziehe Ihnen jetzt die Infusion, und wahrscheinlich schlafen Sie gleich ein. Sie bleiben noch mindestens eine Stunde hier, damit ich auf Sie aufpassen kann.“ Er kontrollierte Puls und Blutdruck, nickte zufrieden und zog sorgfältig eine Decke über sie.

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