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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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fühlte Matwej Benzionowitsch mit der einen Hand den Puls und zog ihm mit der anderen die Lider hoch. »Es ist ein Wunder! Was haben Sie mit ihm gemacht, Eminenz? He, Herr Berditschewski! Zu mir! Sehen Sie mich an!«
    »Was schreien Sie denn so, Doktor?« Der frisch gebackene Staatsrat verzog das Gesicht und rückte ein Stück beiseite. »Ich bin schließlich nicht taub. Was ich Ihnen schon lange sagen wollte: Sie täuschen sich, wenn Sie denken, dass die Kranken Ihre beiseite gesprochenen Kommentare den anderen Ärzten, den Schwestern oder den Besuchern gegenüber nicht hören. Sie sind hier immerhin nicht im Theater.«
    Korowin fiel die Kinnlade herunter, was in Kombination mit der Maske spöttischer Selbstsicherheit, die er so fest verinnerlicht hatte, einigermaßen merkwürdig aussah.
    »Donat Sawwitsch, bekommt man bei Ihnen abends etwas zu essen?«, erkundigte sich der Bischof. »Ich habe seit heute Morgen praktisch nichts gegessen. Wie ist es mit dir, Matwej, hast du keinen Hunger?«
    Berditschewski entgegnete noch nicht sehr überzeugt, aber nicht mehr so leblos wie früher:
    »Etwas zu essen wäre vielleicht nicht schlecht. Und wo ist Frau Lissizyna? Ich kann mich nicht besonders gut erinnern, was hier vorgefallen ist, aber sie hat mich besucht, das habe ich doch wohl nicht geträumt?«
    »Das Abendessen gibt es später! Nachher!«, rief Korowin in höchster Aufregung. »Sie müssen mir auf der Stelle erzählen, an welche Ereignisse der vergangenen zwei Wochen Sie sich erinnern! In allen Einzelheiten! Sie, Herr Kollege, stenografieren jedes Wort mit! Das ist sehr wichtig für die Wissenschaft! Und Sie, Eminenz, verraten mir unverzüglich Ihre Heilmethode. Sie haben gewiss einen Schock angewandt, nicht wahr? Und welchen genau?«
    »Aber nein.« Mitrofani schnitt ihm das Wort ab. »Zuerst das Abendessen. Und schicken Sie nach Pela. . . nach Polina Andrejewna. Wo ist sie überhaupt?«
    »Frau Lissizyna ist weggefahren«, erwiderte Donat Sawwitsch zerstreut, und er schüttelte wieder den Kopf. »Nein, so etwas habe ich wirklich noch nie gehört oder gelesen! Nicht einmal im › Jahrbuch für Psychopathologie und Psychotherapie‹!«
    »Wohin denn? Und wann war das?«
    »Es war noch hell. Sie bat, ins Hotel gebracht zu werden. Sie wollte Ihnen etwas sagen, aber Sie haben sie nicht hereingelassen. Ach ja, vorher hat sie bei mir im Kabinett noch etwas aufgeschrieben. Sie bat darum, Ihnen einen Umschlag und irgendeine Tasche zu übergeben. Den Umschlag habe ich hier, ich habe ihn in die Kitteltasche gesteckt. Aber in welche? Und die Tasche steht hinter der Tür im Vorzimmer.«
    Der Assistent brachte bereits ungefragt die Tasche – eine große, aber offenbar nicht besonders schwere Reisetasche aus Wachstuch.
    Während Donat Sawwitsch die zahlreichen Taschen seines Kittels und seines Überrocks abklopfte, warf der Bischof einen Blick in die Reisetasche.
    Er zog ein Paar hohe Gummistiefel heraus, eine elektrische Lampe von ungewöhnlicher Konstruktion (sie war mit einer kleinen, durchlöcherten Blechplatte abgedeckt) und ein zusammengedrehtes schwarzes Stück Stoff. Er rollte ihn auseinander – es war eine Kutte mit einer durch einen Zwirnfaden nachlässig zusammengehaltenen Kapuze. An der Brust befand sich ein Einschnitt, damit man die Kapuze Zurückschlagen konnte, die Kapuze selbst war mit den Rändern zusammengenäht und hatte zwei Sehschlitze. Mitrofani steckte befremdet den Finger hinein, zuerst in das eine, dann in das andere Loch.
    »Was ist, Doktor, haben Sie den Brief gefunden? Geben Sie her.«
    Er setzte das Pincenez auf. Während er den zugeklebten Umschlag öffnete, brummte er:
    »Seit dem frühen Morgen machen wir nichts anderes, als die Briefe einer gewissen Person zu lesen . . . Was ist denn das für ein Gekrakel, das sieht ja aus, als wäre ein Huhn über das Papier marschiert. Offenbar hatte sie es sehr eilig . . .«
    Noch ein Brief
    Ich bin gleich zu Ihnen gestürmt, aber zur Unzeit. Ich habe eine wichtige Nachricht, doch Ihre Beschäftigung ist hundertmal wichtiger. Möge der Herr Ihnen helfen, Matwej Benzionowitsch den verlorenen Verstand zurückzugeben. Wenn Ihnen das gelingt, sind Sie ein wahrer Zauberer und Wundertäter.
    Verzeihen Sie, dass ich nicht gewartet habe und wieder eigenmächtig handle, aber ich weiß ja nicht, wie lange sich die Heilung hinzieht. Sie sagten, es könne eine ganze Woche dauern, aber es ist völlig unmöglich, so lange zu warten. Vermutlich darf man gar nicht mehr

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