Pelbar 2 Die Enden des Kreises
Vorbedacht in Gefahr brachte, und daß sie dabei von ihrer Familie unterstützt wurde. Und doch gibt es dafür keinen Beweis; daher ist es gesetzlich keine Realität.« Eine Bewegung der Nordrätin veranlaßte sie, die Hand zu heben. »Andererseits hatte Stel die Dahmens fraglos schwer provo-ziert, da er dem Gesetz nach jetzt ein Dahmen war und daher den Familiengesetzen unterworfen. Er wußte, wie streng die Familie war, ehe er einheirate-te. Ich bin auch der Ansicht, daß Ahroe kein Vorwurf zu machen ist und daß sie keine Schande zu tragen haben soll. Ich weiß aber, daß das in der Praxis nicht so sein wird, und es ist wohl sehr wahrscheinlich, daß sie den Rest ihres Lebens ohne Ehemann verbringen wird, so groß ist die Empörung seitens der südlichen und westlichen Quadranten. Vielleicht, Ahroe, wirst du in einem entfernten Zweig deiner eigenen Familie einen Gatten finden.
Schwerwiegender ist, meiner Beurteilung nach, der Anstieg der Spannungen, der durch diesen Vorfall ausgelöst wurde. Als Bewohner einer geschlossenen Stadt – und das sind wir immer noch, obwohl es einige Tendenzen zu einer Öffnung gibt – müssen wir zusammenhalten. Nach dem Wegfall der Bedrohung von außen werden jedoch unsere Differenzen deutlicher sichtbar. Davor müssen wir uns hüten, denn es wird schwere Auswirkungen nach sich ziehen. Nur, weil wir für die Außenstämme offen sind, haben wir noch lange nicht unsere Gesellschaftsordnung geändert. Die Dahmens haben das Recht, sie sehr streng zu interpretieren. Andere Familien können das Wort Pells auf andere Weise lesen.« Wieder mußte sie die Hand heben und Aufmerksamkeit verlangen.
»Und doch gibt es in dieser ganzen Situation einen Aspekt, der mich verwirrt. Die Botschaft, die Stel im Schnee hinterlassen hat, ist sonderbar. Sie drückt Bedauern aus, aber keine Verzweiflung. Sie enthält Scherz. Sie wurde von einem Mann geschrieben, der gerade durch eine heldenhafte Anstrengung lebend dem Fluß entkommen war. Die Dahmens haben von ihm verlangt, völlig gegen sein innerstes Wesen zu handeln. Ich verstehe nicht, wieso er überhaupt in diese Heirat eingewilligt hat, aber nachdem er das getan hatte, war sein Schicksal sozusagen schon be-siegelt.
Dazu fällt mir folgendes ein. Sind wir sicher, daß er unters Eis ging? Wir haben keine Leiche. Wir haben auch die Tatsache, daß Ruudi ihm letzte Nacht eine Tasche mit Lebensmitteln und einen Schlafsack brachte. Hat Stel diese Dinge mit in den Fluß genommen? Man hat sie nicht gefunden.
Ich verfüge nunmehr, daß diese Angelegenheit im Augenblick noch nicht völlig abgeschlossen wird. Ich verfüge, daß die Garde flußaufwärts zum Shumailager geschickt werde, um einen Jäger zu holen, der alle Spuren am Westufer untersuchen soll, das heißt, falls die Neugierigen noch nicht alles zertrampelt haben.
Diese Information sollte uns bei Sonnenuntergang zur Verfügung stehen, und ich möchte, daß wir uns zu diesem Zeitpunkt noch einmal hier einfinden.«
Wieder hob sie beide Hände, um Schweigen zu gebieten.
»Bis dahin befehle ich den wegen dieser Sache im Streit liegenden Familien, über diese oder eine andere Sache kein Wort miteinander zu wechseln. Nun, Garde, schickt Leute aus, wie ich es verfügt habe! Die Ratssitzung ist vertagt.«
Ein sonderbar langes Schweigen hing im Zimmer, bis sich jemand regte. Die Protektorin war als kluge Frau bekannt, mit langer Erfahrung, aber sonst hatte niemand die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß Stel nicht tot sein könnte. Was war, wenn er geflohen war? Vielleicht nach Nordwall? Langsam schwoll das Stimmengemurmel an, als die Leute den Raum verließen.
Ein Gardist nahm sofort die kurze Strecke nach Norden zum Winterlager der Shumai in Angriff, weitere sechs Gardisten überquerten die Eisbrücke, um von nun an jegliche Einwirkung auf die verbliebenen Spuren zu verhindern, die Stel hinterlassen hatte. Aber der Schauplatz war ein einziges Durcheinander. Eine ganze Reihe von Leuten war an diesem Morgen auf der anderen Seite des Flusses gewesen, die sich überlagernden Spuren bildeten eine verwirrende Ansammlung von Fußabdrücken. Das Eis auf dem Fluß war zum Teil mit Schnee bedeckt, zum Teil freigeblasen. Soweit sich Ruudi erinnern konnte, hatte Stel mehrere schneefreie Stellen überquert, in den Schneezungen dahinter waren seine Spuren wieder aufgetaucht.
Die Sonne hatte noch kein Achtel ihres Wegs zum Untergang zurückgelegt, als der Gardist mit drei Shumai zurückkehrte, die leichtfüßig
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