Pelbar 3 Die Kuppel im Walde
Strömung.
Ahroe stand mit Celeste auf dem Gagen-Turm. Das Mädchen schaute hinunter und fragte: »Wer ist das?
Auf dem Fluß. Es ist nicht Tor. Oh. Da im Bug steht Tor. Sieht aus, als wären es zwei Tors.«
»Das ist Tristal, Celeste. Sie gehen fort.«
»Tristal? Nein. Der ist zu groß. Fort? Den Sommer über?«
»Sie gehen ins Eisland. Weiter weg, als du dir vorstellen kannst. Sie hoffen, hohe Berge zu überqueren und in ein unbekanntes Land zu gelangen.« Ahroes Stimme klang gepreßt.
»Warum wollen sie das tun?«
Ahroe antwortete nicht. Eolyn, die auch gekommen war, sah sie an. »Du wirst sie also vermissen? So sehr?«
»Sie vermissen? Ja, natürlich. Sieh sie dir doch an in dieser Nußschale! Tris ist ein richtiger Dichter. Hast du das gewußt? Er ist nicht wirklich für so etwas geeignet. Zum Teufel mit den beiden! Sieh dir doch Tor an mit seinem einen Arm! Stel hat mir erzählt, daß er im letzten Winter fast einen ganzen Tag lang Gänse aus dem Eis gehackt und sie dann freigelassen hat.
Dabei ist er zweimal in den Fluß gefallen. Ich weiß, daß er in seinen Vorratslagern Mäuse gefunden und die Nester mit den nackten Jungen sorgfältig wieder zugedeckt hat. Sieh sie dir an! Sie haben keine Ahnung, worauf sie sich da einlassen. Sie finden hier nicht genügend Raum für sich. Sie wollen die Freiheit suchen. Tor will von dir loskommen ...«
»Von mir? Tor? Von mir?«
»Natürlich. Deinetwegen und wegen deiner Macht.
Er erzählte mir, daß ihm diese Explosion nicht aus dem Kopf geht. Er sagt, er hätte geglaubt, er würde nie vor etwas Angst haben, aber er wacht schweißge-badet auf, weil er an ein ganzes Tal voll brennender Menschen denkt.«
Eolyn schnaubte. »Das hat Butto getan. Ich hätte versucht, das irgendwie mit Vernunft zu lösen.«
Ahroe starrte sie an. »Butto war ein guter, tapferer Mann. Und Tristal. Weißt du, auch wenn man so jung ist, kann man lieben. Stel und ich, wir haben uns auch geliebt. Wir hatten unsere Schwierigkeiten, aber geliebt haben wir uns. Er hat in Celeste jemanden wie sich selbst gefunden, allein, in Schlamm und Regen herumwandernd, ohne Eltern. Er glaubte irgendwie – ich weiß, daß es irrational ist –, daß sie füreinander bestimmt seien, und daß jeder die Einsamkeit des anderen heilen könnte. Er geht nicht wegen Tor. Er geht um seiner selbst willen. Sie hat ihn nicht einmal wahrgenommen. Sieh sie dir doch an, wenn man Mut und Fähigkeit wegläßt! Zwei Jungen. Sie sind nicht wirklich hart wie Stel und ich. Oder auch nur wie Blu und Dailith. Sie werden ihr Glück nicht mit menschlichen Händen abmessen. Sie wollen etwas, das mehr ist – und das existiert nicht.«
»So wie du es sagst, hört es sich gräßlich an«, meinte Eolyn. Sie nahm das lange Teleskop und sah ihnen im Morgennebel nach. Tor stand im Boot und hielt vorne nach Baumstümpfen Ausschau. Tristal im Heck ruderte, er paddelte mit gleichmäßigen, kräftigen Schlägen. Raran stand mittschiffs, schaute zu Stel zurück und wedelte mit dem Schwanz. Sie beobachtete, wie Tristal den Hund mit einem Ruder sanft auf die Schulter klopfte, sah, wie Raran sich niederplumpsen und ihre aufgestellten Ohren sinken ließ.
Eine Nebelbank rollte flußabwärts, und die beiden fuhren hinein. Schließlich sah die Wand aus, als wäre sie massiv, sie verschluckte langsam den Bug, dann den aufrechtstehenden Tor, Raran, Tristal und am Ende das Aufblitzen seines Ruders.
Celeste murmelte etwas und griff nach dem Teleskop. Es rutschte ihr aus der Hand, drehte sich auf der Brüstung und fiel auf das Steinpflaster des Turms, das Okular zerbrach. Das Mädchen bückte sich, kniete dann nieder, nahm die Scherben in die Hand und schnitt sich dabei in den Finger. Eolyn schaute zu ihr hinüber und schüttelte den Kopf. Celeste blickte auf, mit offenem Mund, wollte etwas sagen, mühte sich, brachte aber wieder einmal kein Wort heraus.
Von hoch oben, vielleicht über dem Nebel, kam das Geschrei von Gänsen, weißen und grauen. Sie flogen nach Norden, stießen ihre fröhlichen und trostlosen Schreie aus, wie Gänse es immer getan haben, ließen sie auf Pelbarigan herabregnen, auf den Nebel, irgendwo da draußen auf Tor und Tristal, hoch und frei flogen sie instinktiv ihre Routen, unstet wie seit dem Pleistozän, vor und nach Amerika und durch alle Zeiten der Völker des Heart-Flusses.
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