Pellkartoffeln und Popcorn
Untermenschen, die man uns in Zeitungskarikaturen immer als Mittelding zwischen Orang-Utan und Neandertaler dargestellt hatte!
Am nächsten Tag zogen unsere ersten Besatzer wieder ab und hinterließen neben einem weiteren Sack Kartoffeln zwei Beutel mit Milchreis sowie eine Büchse Schmalz. Bevor der Offizier sich von uns allen mit Handschlag verabschiedete, winkte er meine Mutter zur Seite und redete ein paar
Minuten lang auf sie ein. Etwas nachdenklich kam sie zurück. »Er hat mir eben gesagt, daß wir nicht zu optimistisch sein sollen, denn nicht alle Soldaten würden sich so diszipliniert verhalten wie seine eigenen Leute. Und besonders die Etappe sei mitunter gefährlich. Im Notfall sollen wir uns an die Offiziere wenden, die in den meisten Fällen bemüht seien, Übergriffe zu verhindern. Ich habe so eine Ahnung, als ob das dicke Ende erst kommt.«
Es kam in Gestalt einer dickleibigen Majorin, die zunächst alle Wohnungen inspizierte, um dann ausgerechnet in unserer Quartier zu beziehen. Wir übersiedelten notgedrungen in Zilligs leerstehende Räume.
Dann beorderte sie sämtliche Hausbewohner mit Bürsten und Eimern ins Müllhaus und befahl ihnen, die überquellenden Tonnen zu entfernen und das ganze Gelaß gründlich zu säubern. Weitere Hilfskräfte wurden aus den umliegenden Häusern herangeholt, und nach ein paar Stunden war das Müllhaus zwar nicht sauber, aber innen und außen klatschnaß, was zumindest den Eindruck einer gründlichen Reinigung erweckte. Während sich die unfreiwilligen Putzfrauen noch die Köpfe darüber zerbrachen, ob dieser fensterlose Raum als Gefängnis oder nur als Lagerschuppen Verwendung finden würde, schoben russische Soldaten zwei Feldküchen heran – besser bekannt unter dem Namen Gulaschkanonen – und verankerten die reichlich verdreckten Dinger im Müllhaus. Dann schleppten sie aus den einzelnen Wohnungen das ihnen geeignet erscheinende Mobiliar zusammen, darunter eine zweifellos antike Barockkommode und den gläsernen Instrumentenschrank eines in der Onkel-Tom-Straße etablierten Internisten. Auf ähnlich unproblematische Weise besorgten sie sich Geschirr und Besteck, demontierten irgendwo die damals noch nicht unbedingt eingekachelte Badewanne, die offensichtlich als Waschbecken zweckentfremdet werden sollte. Und dann zogen endlich die Feldköche ein, um ihres nahrhaften Amtes zu walten.
»Das darf doch einfach nicht wahr sein!« sagte Mami ein über das andere Mal, während sie von Omas Balkon herunter die merkwürdigen Vorbereitungen beobachtete. »Die können doch in dem Dreckloch nicht ihre Küche unterbringen.«
Sie konnten! Und was dann an aufreizenden Düften herüberwehte, war nicht dazu angetan, unsere ohnehin ständig knurrenden Mägen zu beruhigen. Wir Kinder trieben uns aus nahehegenden Gründen vorzugsweise hinter den Häusern auf der ehemals sorgfältig gepflegten, nunmehr mit Abfall, Scherben und verstreuten Wäschestücken übersäten Rasenfläche herum und erreichten auch prompt das, was wir wollten. Die Russen, denen man völlig zu Recht eine angeborene Kinderliebe bescheinigt, verpflegten uns so großzügig, daß wir auch noch unsere Angehörigen versorgen konnten. Anfangs weigerte sich Omi beharrlich, auch nur einen Bissen zu essen, weil sie die Bazillen förmlich auf dem Teller krabbeln zu sehen glaubte, aber dann siegte der Hunger über die Hygiene! Herr Bentin, dem unsere Zusatzkost ohnehin ein Dorn im Auge war, prophezeite uns ein jämmerliches Ende, denn die uns überlassenen Portionen seien zweifellos vergiftet und dienten doch nur einer unproblematischen Ausrottung der Zivilbevölkerung.
Die dicke Majorin hatte auch etwas gegen die humanen Bestrebungen ihrer kochenden Untergebenen und verbot kurzerhand die eigenmächtige Weitergabe von Nahrungsmitteln. Folglich bekamen wir die uns zugesagten Rationen erst nach Einbruch der Dunkelheit und auf manchmal recht abenteuerlichen Umwegen unter Einschaltung militärischer Zwischenstationen.
Nun waren wir ja schon seit langem nicht mehr verwöhnt, was die Qualität der täglichen Mahlzeiten anbelangt; aber die mitunter doch sehr merkwürdigen Produkte russischer Kochkunst waren dazu angetan, unsere Vorstellungen von den Steinzeitmenschen wieder aufleben zu lassen. Hirsebrei, Haferbrei und Reisbrei dominierten, mal mit gezuckerter Kondensmilch übergossen und mal mit vor Fett triefenden Speckgrieben. In der Kohlsuppe blieb der Löffel stehen, und was das rosarote Zeug war, das wie Fassadenfarbe
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