Pellkartoffeln und Popcorn
schließlich sei ja bekannt, daß die Russen deutsche Frauen… und besonders jüngere…
Ich hatte nur sehr verschwommene Vorstellungen von dem, was russische Soldaten mit jüngeren deutschen Frauen tun würden, aber ich begriff natürlich, daß man es erst gar nicht darauf ankommen lassen sollte. Dieser Meinung war übrigens auch Frau Brüning, die man getrost noch zur jüngeren Generation zählen durfte. »Graue Haare müßte man haben«, seufzte Mami und betrachtete im Spiegel mißmutig ihre dauergewellte Lockenpracht.
»Vielleicht sollten wir uns Asche aufs Haupt streuen? Damit würden wir sogar in streng biblischem Sinne handeln«, überlegte Frau Brüning und verteilte probeweise ein paar Krümel auf ihrer kastanienbraunen Haarfülle. »Nützt nicht viel, oder? Außerdem juckt es.« Energisch bürstete sie sich das Zeug wieder vom Kopf. Schließlich hatte Mami die rettende Idee. Sie verbrannte zwei Briefchen Zigarettenpapier, die ergaben ein kleines Häufchen weißer Asche, und damit konnte sie wenigstens die aus dem Kopftuch hervorlugenden Haare grau tönen. Nun sah aber das noch aus Frankreich stammende Seidentuch auch nicht gerade aus, als ob es einem alten Mütterchen gehören würde, weshalb Frau Hülsner es gegen einen dunkelgrauen Wollschal auswechselte. Aber selbst wenn Mami auf Lippenstift und Wimperntusche verzichtete und ihre noch immer goldfarbene Mittelmeerbräune mit hellem Puder abdeckte, sah sie eigentlich keinen Tag älter aus als 32, und so alt war sie ja auch. Auch Frau Brüning gelang es nicht, sich von der attraktiven Mittdreißigerin in eine verhärmte Greisin zu verwandeln, obwohl sie sich mit einem Augenbrauenstift versuchsweise ein paar Falten ins Gesicht malte.
»Jetzt siehst aus wie die Hexe aus Hänsel und Gretel«, kommentierte Sproß Maugi die mißlungenen Schminkkünste seiner Mutter. »Bleib doch so, vielleicht kannste die Russen damit in die Flucht schlagen!«
»Bei der tristen Beleuchtung im Keller sehen wir sowieso alle wie Gespenster aus«, erklärte Mami abschließend. Und damit hatte sie zweifellos recht. Die Stromversorgung war längst zusammengebrochen, und wir empfanden es schon als Illumination, wenn statt des einen Kerzenstummels mal deren zwei brannten. Erbitterte Debatten gab es auch wegen Saladin. Der redselige Papagei hatte allen Umerziehungsversuchen getrotzt und begrüßte weiterhin jeden, der unsere Katakombe betrat, mit einem deutlichen »Heil Hitler«.
»Drehen Sie dem Vieh endlich den Kragen herum«, knurrte Herr Leutze, »dieser Vogel bringt uns noch alle an den Galgen!«
»Sei lieb, Saladin, sag Dobre Djen«, bettelte Tante Else, denn ein sprachkundiger Mitbürger hatte ihr unlängst versichert, das sei russisch und bedeute soviel wie ›guten Tag‹.
»Halt’s Maul, dumme Pute, Heil Hitler!« krächzte Saladin unbeirrt und keineswegs geneigt, sich den veränderten politischen Verhältnissen anzupassen.
»Da haben wir’s!« empörte sich Herr Leutze erneut, »nun stellen Sie sich bloß mal vor, es kommt ein Russe herein, und das Vieh brüllt Heil Hitler.«
»Heil Hitler, jawoll!« antwortete Saladin.
Mami wickelte dem unbelehrbaren Vogel ein Gummiband um den Schnabel, was ihm zwar in keiner Weise behagte, ihn aber im entscheidenden Moment zum Schweigen verurteilen würde. Herr Leutze war endlich beruhigt.
Wo die Russen nun eigentlich waren, wußten wir immer noch nicht. Wenn wir gelegentlich aus dem Keller auftauchten, um vor der Tür frische Luft zu schnappen, wurden von Haus zu Haus Gerüchte weitergegeben, die ebenso zahlreich wie unglaubhaft waren. »Der Russe steht schon in Zehlendorf-Mitte«, hieß es, und »der Russe kommt gar nicht mehr, die Armee Wenck hat ihn vertrieben«, hörte man aus einer anderen Ecke. Herr Bentin, der ja über detaillierte Informationen hätte verfügen müssen, sagte gar nichts mehr; und Frieda Seifen, die sich immer noch als Luftschutzwart fühlte und weiterhin mit Stahlhelm und Gasmaske am Gürtel herumlief, hatte auch keine Ahnung. Mal schoß es von links, mal von rechts, aber immer noch viel zu weit entfernt, als daß man einen unmittelbar bevorstehenden Straßenkampf befürchten mußte. Davor hatten wir am meisten Angst. Und dann hieß es plötzlich, Zehlendorf habe sich dem Gegner kampflos übergeben, alle eventuellen Verteidigungsmaßnahmen seien umgehend einzustellen, die Bevölkerung habe sich ruhig zu verhalten und dem bevorstehenden Einmarsch der Russen keinen Widerstand entgegenzusetzen, wozu wir,
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