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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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geknackt waren, denn schließlich verfügte niemand über einschlägige berufliche Erfahrungen. In Zilligs Keller wurden wir nicht fündig. Da standen lediglich Juttas kaputter Puppenwagen, drei Blumenkästen mit vertrockneten Geranienstengeln sowie das goldgerahmte Ölgemälde eines unbekannten und auch nicht sehr talentierten Meisters.
    Bei Moldens förderten die Schatzgräber zwei Kisten mit Weinflaschen zutage und 37 Gläser mit eingemachten Birnen. Letztere wurden in den Gemeinschaftskeller transportiert und als eiserne Ration dem eventuellen späteren Verbrauch vorbehalten. Bei der Überlegung, was mit dem Rebensaft zu geschehen habe, erhitzten sich die Gemüter. Omi wollte den Wein ins Waschbecken kippen und wurde bei diesem Plan von Frau Bennich unterstützt, die der Meinung war, jetzt sei nun wirklich nicht der rechte Zeitpunkt für ein Saufgelage. Die übrige Belegschaft und damit die Mehrzahl war dagegen. Schließlich standen die Russen ja noch nicht unmittelbar vor der Haustür. Die Flaschen wurden also gerecht verteilt, und zwei Tage lang sahen zumindest die erwachsenen Hausbewohner der bevorstehenden Invasion einigermaßen gelassen entgegen.
    Dann aber überstürzten sich die Ereignisse. Herr Bentin, in letzter Zeit ziemlich schweigsam geworden und seit ein paar Tagen sogar wieder mit Mittelscheitel frisiert, verkündete der erstaunten Kellergemeinschaft, daß sich in militärischer Hinsicht entscheidende Dinge täten. Er habe gerade entsprechende Nachrichten erhalten; eine gewaltige Armee sei im Anmarsch auf Berlin, um die bedrohte Stadt zu entlasten, und er hoffe doch sehr, bei den zu erwartenden Verteidigungsmaßnahmen auf unsere Unterstützung rechnen zu können.
    »Ach, halten Sie doch endlich den Mund!« blaffte Tante Else, die schon vor einigen Tagen ein bereits fadenscheiniges Bettlaken mit Schlaufen versehen hatte, um es im geeigneten Augenblick aus dem Fenster hängen zu können.
    Zwei Stunden später erschien ein Jüngling in Uniform, der alle Kellerinsassen dienstverpflichtete und sie unter Mitnahme von Spaten und Ästen zur Rodelbahn beorderte, weil man Bäume fällen und unten auf der Onkel-Tom-Straße eine Panzersperre errichten müsse. »Sollte der Iwan von der Avus her kommen, dann wollen wir es ihm doch nicht so leicht machen, nicht wahr?« erklärte der Uniformierte fröhlich.
    »Ich denke, der kommt gar nicht?«
    Der Jüngling warf Tante Else einen vernichtenden Blick zu. »In einer halben Stunde sind alle draußen, verstanden?«
    Die Panzersperre wurde gebaut. Sie bestand aus Holzpfählen, die man ins Straßenpflaster rammte, und als Krönung der nicht gerade architektonischen Meisterleistung wurde ein doppel stöckiger Omnisbus quer über die Straße gestellt, der dieses künstliche Hindernis nun vollends uneinnehmbar machen sollte. (Später genügten drei gezielte Schüsse aus einem russischen Panzer, und von der Barrikade blieb nicht mal mehr ein Autoreifen übrig.)
    Wir lebten nun Tag und Nacht im Keller, weniger wegen der Luftangriffe, die fast völlig aufgehört hatten – vielleicht wußten die Alliierten auch nicht mehr so genau, wie weit ihre sowjetischen Verbündeten vorgedrungen waren, und hatten Angst, sie könnten ihnen versehentlich ein paar Bomben auf den Kopf werfen –, sondern mehr wegen des Geschützfeuers, das beängstigend nahe gerückt war. Versprengte Soldaten, die gelegentlich aus dem Wald kamen und keine Ahnung hatten, wo sie sich überhaupt befanden, widersprachen sich. Einer behauptete, die Russen seien schon am Schlachtensee, andere waren der Meinung, sie seien noch nicht über Potsdam hinausgekommen, und einer erklärte sogar, er habe bereits jenseits des U-Bahnhofs feindliche Truppen gesehen. Dabei handelte es sich allerdings um Angehörige der Organisation Todt, die ebenfalls braungewandet herumliefen und leicht verwechselt werden konnten, was auch manchmal vorgekommen sein soll. Einmal verirrte sich in unseren Keller auch ein lustloser Vaterlandsverteidiger, der im Eisvogelweg wohnte und nunmehr dorthin strebte, seine Uniform aber als hinderlich empfand. Onkel Paul und Opi statteten ihn mit Zivilkleidung aus, worauf der nunmehr entmilitarisierte Heimkehrer ewige Dankbarkeit bekundete und versprach, die entliehenen Sachen sobald wie möglich zurückzubringen. Was er auch wirklich getan hat. Von ihm stammte auch der Ratschlag – hauptsächlich an Mami gerichtet – ihr doch recht ansprechendes Äußeres etwas zum Nachteiligen zu verändern,

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