Pelte, Reinhard
das, was passierte, keinen Sinn.«
»Was meinst du damit?«
»Udo erzählte, dass die beiden im Haus waren und was weiß ich machten. Das waren seine eigenen Worte. Das Mädchen kam zurück, ging ins Haus, stürzte wenig später hysterisch aus der Tür und fiel zu Boden. Als er ihr helfen wollte, starb sie. Danach bekam Udo Panik.«
»Und dann?«
»Sie luden sie und ihr Fahrrad in ihr Auto und verschwanden.«
»Und hinterher war Schluss zwischen den beiden, weil sie nicht daran erinnert werden wollten. Ich verstehe.«
»Ja, so sehe ich das«, sagte Jung entschieden.
»Dass Immo seinen Lustknaben noch ausgebildet und in seine Nähe bugsiert hat, das ist ja total abgefahren. Meine Güte.« Svenja schüttelte den Kopf.
Daran hatte Jung noch gar nicht gedacht. Svenjas Hinweis deprimierte ihn.
Sie sahen durch das hohe Wohnzimmerfenster. Der Teich war vom Eis befreit, die Terrasse schneefrei. Nur in dem angrenzenden Knick hielten sich noch schmutzige Reste der Schneewehen, die hier der Sturm besonders hoch aufgetürmt hatte.
»Und wo ist das Mädchen abgeblieben?«, fragte Svenja nach einer Weile.
»Udo nahm sie in Immos Auto mit auf seine Insel und bestattete sie christlich.«
»Was? Das kann doch nicht wahr sein? Wie denn?«
»Er äscherte sie zusammen mit einer anderen Leiche ein und begrub sie anschließend.«
»Absolut unglaublich.«
»Er legte regelmäßig Blumen auf ihr Grab. Diese Aufgabe übernimmt jetzt ein behinderter Junge, der ihm offensichtlich sehr ergeben ist.«
»Gott im Himmel. Total wahnsinnig. Wie hast du ihn überhaupt dazu gebracht, dir das zu erzählen?«
»Das war relativ einfach, aber ich kam mir schlecht dabei vor.«
»Du musst das mal so sehen, Tomi: Du hast gemacht, wofür du bezahlt wirst, und das absolut erfolgreich.«
»Du hast wieder einmal recht. Schön, wenn ich das auch so sehen könnte.«
Das Gespräch war vorbei. Sie schwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Jung dachte an Immo. Einige Zeit später hatte er sich entschlossen, ihn vorzuladen und mit der neuen Situation zu konfrontieren.
»Was würdest du eigentlich an meiner Stelle tun?«, fragte er seine Frau beiläufig.
»Das ist doch sonnenklar. Zuerst würde ich Immo in die Mangel nehmen«, antwortete sie.
Jung war zufrieden mit ihrer Antwort. Er fühlte sich bestätigt. Das brauchte er jetzt.
*
Als Jung sein Auto von der Auffahrt lenkte, strahlte die Sonne von einem blauen Himmel. Er fuhr über die Husumer Straße in die Innenstadt. Nachdem er im Hof der Polizei-Inspektion ausgestiegen war, gönnte er sich einen kurzen Spaziergang auf der Promenade entlang der Förde. Der Wind war weg. Ihm war angenehm warm in seiner alten Jacke. Drüben sah er St. Jürgen über dem Ostufer wachen. Der Anblick, der ihn sonst angenehm beruhigt hatte, ließ ihn sauer aufstoßen. Er wandte die Augen ab in Richtung Hafenausgang. Im Schwimmdock der Werft lag der Neubau einer RoRo-Fähre und wartete auf die Montage des Brückenhauses. Es lag aufgebockt und in einem Stück auf der angrenzenden Pier. Zwei riesige Kräne standen bereit, es auf die Haken zu nehmen und über den Rumpf des Schiffes einzuschweben. Einen Moment lang dachte Jung, wie schön es sein müsse, als Schiffbauingenieur arbeiten zu dürfen.
Zurück in der Polizei-Inspektion begrüßte ihn Petersen am Treppenaufgang.
»Moin, Herr Oberrat. Alles klar?«
»Moin Petersen. Das weiß ich nicht.«
»Was ist los? Hat Ihre Tochter nichts aus Japan hören lassen?«
Jung hatte lange nicht mehr an seine Tochter gedacht. Petersens Frage heiterte ihn auf.
»Danke, dass Sie mich daran erinnert haben. Schönen Tag, Petersen.«
»Da nich für, Herr Oberrat. Schönen Tag.«
Als Jung an seinem Schreibtisch saß, wühlte er die Schreibtischschublade nach Immos Telefonnummer durch. Dabei fand er auch die Teilnehmerliste des Klassentreffens. Udo Harmsen stand so unschuldig auf dem Papier, wie alle anderen. Sogar Immos Telefonanschluss fehlte nicht.
Jung wählte die Nummer. Immos Sekretärin meldete sich.
»Hotel ›Altes Gym‹. Beate Schirmer am Apparat. Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«
»Jung hier. Guten Tag, Frau Schirmer.«
»Hallo, Herr Jung. Das ist aber nett, dass Sie anrufen. Wie geht es Ihnen?«
»Danke der Nachfrage. Und selbst? Was machen die Sprösslinge?«
»Danke gut, alles bestens. Die beiden machen sich prächtig. Ich bin so stolz auf sie. Wenn Sie wüssten, wie gut mir das tut. Mein Mann sagt immer, Bea …«
»Entschuldigen Sie vielmals,
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