Pelte, Reinhard
Da müssten Sie Ihren Gerichtsmediziner fragen.«
»Es war eine Feuerbestattung«, sagte Jung kleinlaut.
»Halleluja, das kann ja heiter werden. Entschuldigen Sie.«
Ja, das wird heiter werden, dachte Jung. Er stellte sich vor, wie Immo vor ihm auf dem kargen Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch sitzen würde, und er sich abmühte, ihm ein Geständnis zu entlocken. Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. Seine Gedanken kamen ihm trotz der Einlassungen von Bär lange nicht mehr so schwerwiegend und bedrückend vor wie noch am Vormittag, obwohl sich nichts geändert hatte. War er nur durch die Tatsache befangen gewesen, dass es sich bei den vermeintlichen Tätern um seine ehemaligen Klassenkameraden handelte? War die Befangenheit so unmerklich und unterschwellig?
»Ich danke Ihnen, Herr Doktor Bär. Sie haben mir sehr geholfen«, versicherte Jung, nachdem er noch einen Schluck Wein genommen hatte.
»Dem Willen Gottes sind wir nun noch gar nicht auf die Spur gekommen, Herr Kriminalrat«, bemerkte Bär daraufhin schmunzelnd.
»Ich glaube, das ist auch nicht mehr nötig. Sein Wille geschieht, ob nun mit oder ohne unser Zutun, jedenfalls wenn wir seinen Propheten Glauben schenken wollen. Letztlich bin ich ja inzwischen auch ohne mein Zutun Oberrat geworden.«
»Meinen Glückwunsch. Darauf trinken wir einen Grappa. Auf Ihre Kosten natürlich.«
»Natürlich«, fügte sich Jung der Aufforderung Bärs.
Nach dem ersten Grappa hatten sie jedoch noch einen heißen Espresso, danach einen weiteren Grappa und danach noch einen. Sie unterhielten sich angeregt über Gott und die Welt und verabschiedeten sich schließlich voneinander, gut gelaunt und tatendurstig.
Jung überquerte den Südermarkt in Richtung Holm. Er steckte den Kopf in den Jackenkragen und zog die Schultern hoch. Seine Hände hatte er tief in den Taschen vergraben. Eine wohlige Wärme war an die Stelle seiner Bauchschmerzen getreten. Vielleicht lag es an den Grappas? Als er zur Turmuhr von St. Nikolai hinaufsah, fragte er sich, ob es ihm wohl jemals wieder gelingen werde, eine Kirche ohne ein Gefühl der Unsicherheit und Vergeblichkeit zu betreten. Die Uhr zeigte 16.17 Uhr.
Udo und Immo
Jung verbrachte die Zeit mit Routinearbeiten. Er räumte sein Büro auf und warf alles überflüssige Papier weg. Im Wegschmeißen war er ein großer Könner, denn er liebte leere Schreibtische und Regale. Ihr Anblick gab ihm das Gefühl, fleißig gewesen zu sein und zum Wohl der Menschheit beigetragen zu haben. Im Übrigen tröstete er sich im Zweifelsfall mit der Gewissheit, dass alles, selbst die blödsinnigsten Kommentare, Aktennotizen und Memos im Zentralcomputer gespeichert waren. Zu Beginn der Einführung des EDV-gestützten Büros hatte es geheißen, dass die stetig anwachsende Papierlawine nun endlich ein Ende haben werde. Aktenberge sollten fortan nur noch im Bürokratiemuseum zu besichtigen sein. Das Gegenteil war schließlich eingetreten. Das Papieraufkommen war noch weiter angestiegen. Die Kopierkosten und die Aufwendungen für die Anschaffung und Wartung des Maschinenparks waren sprunghaft in die Höhe gegangen. Jung verstand sich als Vorreiter moderner Zeiten. Es bereitete ihm Vergnügen, bei passender Gelegenheit darauf hinzuweisen.
*
Vor Immos Besuch wollte Jung noch einmal mit Udo sprechen. Er rief ihn auf seiner Insel an.
»Pastorat St. Laurentii, Driefholt am Apparat.«
»Guten Tag, Frau Driefholt, Jung hier. Wie geht es Ihnen?«
»Hallo, Herr Jung. Schönen guten Tag. Ausgezeichnet. Und selbst?«
»Danke, soweit gut. Ich möchte mit Pastor Harmsen sprechen.«
»Ja sicher, gern. Was haben Sie eigentlich mit ihm gemacht?«, fragte sie aufgekratzt.
»Wie darf ich das verstehen? Ist er krank?«
Sie lachte aus vollem Halse.
»So könnte man das auch nennen.«
»Sie geben mir Rätsel auf. Was ist passiert?«
»Er hat ein paar Gläser von dem köstlichen Wein mit mir getrunken, dem weißen, Sie erinnern sich doch, nicht wahr?«
»Ja natürlich. Wie haben Sie das geschafft?«
»Das frage ich Sie. Er ist zu mir in die Küche gekommen und hat sich mit mir unterhalten. Ich habe ihm von unserem Essen und dem köstlichen Wein erzählt. Dann hat er mich gebeten, eine Flasche zu holen. Wir haben getrunken und erzählt. Und es hat ihm geschmeckt, ich meine der Wein.Was sagen Sie dazu?«
»Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, erwiderte Jung nachdenklich.
»Genau. Ich habe mit ihm noch nie so nett geplaudert. Was haben Sie also mit ihm
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