Pelte, Reinhard
bei Braasch-Gegenüber zu Mittag. Entschlossen lenkte Jung seine Schritte in Richtung Südermarkt und Roter Straße. Hatte Bär nicht von sich behauptet, dem Willen Gottes zu dienen? Er musste es also wissen.
Jung hatte Glück und fand Bär in dem schmalen Laden vor einem Teller Pasta sitzend.
»Hallo, Herr Jung. Haben Sie bei Ihrer aufreibenden Arbeit Hunger bekommen?«, begrüßte ihn Bär amüsiert.
»Moin, Herr Doktor Bär. Ja, ich habe Hunger, aber nicht nur nach Pasta.«
»Setzen Sie sich zu mir. Wonach haben Sie sonst noch Hunger, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin froh, Sie hier zu treffen. Ich dachte gerade an Sie.«
»Wie schmeichelhaft, Herr Kriminalrat. Wollen Sie nicht bestellen und mir beim Essen Gesellschaft leisten?«
Jung begrüßte nun auch die kleine Köchin und bestellte Spaghetti Carbonara und ein Glas Lugana.
»Wir wollten uns treffen, wenn ich den Tod Ihrer Patientin aufgeklärt habe, Sie erinnern sich?«
»Ja, ich erinnere mich. Und? Haben Sie?«
»Ja.« Jung unterrichtete Bär in knappen Sätzen von dem Ergebnis seiner Ermittlungen. Der Fall lag schon etwas zurück.
»Aber das ist nicht der Hauptgrund, warum ich an Sie gedacht habe«, gestand er schließlich.
Jungs Essen kam. Er prostete Bär zu und nahm einen Schluck Lugana. Der Wein versetzte ihn sogleich in eine bessere Stimmung. Dann schob er sich eine große Gabel heißer Spaghetti in den Mund.
»Ich vermute, Sie haben etwas auf dem Herzen, nicht wahr?« Bär sah Jung skeptisch an.
»Sie vermuten richtig«, erwiderte Jung noch kauend. »Wir wollten uns auch darüber unterhalten, woher Sie wissen, was Gottes Wille ist. Sie wollen ihm dienen, sagten Sie das nicht?«
»Ah, daher weht der Wind. Sie haben ein Problem. Ich höre.«
»Haben Sie etwas Zeit? Ich werde nicht in fünf Minuten fertig werden. Um Ihre Verschwiegenheit muss ich Sie auch bitten. Können Sie mir das versprechen?«
»Ja. Legen Sie los«, antwortete Bär einfach.
Jung erzählte Bär alles, was er im Fall Imke Carl zusammengetragen hatte. Bär unterbrach ihn nicht. Als Jung geendet hatte, schwiegen sie. Bär machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Was ist nun Ihr Problem? Das habe ich noch nicht verstanden.«
»Ich bin im Zweifel darüber, was ich tun soll.«
»Genau diese Zweifel verstehe ich nicht. Das ist doch klar, meiner Meinung nach.«
»Gut. Dann sagen Sie mir bitte, was für Sie klar ist.«
Bär holte noch einmal tief Luft.
»Sie nehmen das Geständnis des Pastors zu Protokoll, einschließlich aller Details, an die er sich erinnern kann. Sie konfrontieren den Hotelier damit. Sie setzen ihn unter Druck, mit den noch unbekannten Details herauszurücken. Damit gehen Sie zum Staatsanwalt und überlassen alles Weitere ihm und dem Richter. Allerdings setzt das voraus, dass der Pastor bei seinem Geständnis bleibt. Wenn er sich inzwischen eines anderen besonnen hat, erst dann haben Sie wirklich ein Problem.«
»Es gibt ein paar harte Fakten, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind«, gab Jung zu bedenken.
»Richtig. Und der Pastor wird nicht zurückwollen, schätze ich mal.« Bär hob sein Wasserglas und prostete Jung zu. »Es gibt aber noch etwas anderes.« Bär setzte sein Glas hart auf den Tisch.
»Und das wäre?«, fragte Jung gespannt.
»Der Pastor könnte sie wirklich ermordet haben. Oder es war Totschlag, ich weiß das nicht.«
»Wie?«, entfuhr es Jung.
»Wenn seine Angst ausgereicht hat, den Leichnam verschwinden zu lassen, warum nicht auch dafür, das Mädchen wirklich zu töten?«
»Warum?«
»Aus demselben Grund: Um sich vor Entdeckung zu schützen. Sie hätte ja tatsächlich im Haus etwas gesehen haben können, das das ganze Arrangement hätte auffliegen lassen. Dann wären die beiden Alten und der Junge geoutet gewesen. Die Motivlage ist doch völlig unverändert, nicht wahr?«
Jung fühlte sich peinlich berührt. Warum war er nicht selbst darauf gekommen? Er hatte Udos Beichte hingenommen und so verstanden, wie er es verstehen wollte. Wollte er sich selbst täuschen? Er nahm einen Schluck Wein.
»Nun, ein Pastor ist auch nur ein Mensch.«
»Nicht nur auch, sondern ganz besonders. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?« Bär sah Jung intensiv in die Augen.
»Ja, ich glaube schon.« Jung schwieg.
»Überlegen Sie mal. Sie haben eigentlich gar nichts in der Hand, außer dem Wimpel in der Werkstatt. Sie müssten einen Leichnam exhumieren können, um ihn zu identifizieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt geht.
Weitere Kostenlose Bücher