Pendragon - Der Anfang
nervt, aber ich muss es wissen. Habt ihr euch gestern Abend bei ihm zu Hause geküsst?«
Courtney versuchte, aus Mark schlau zu werden. Er war eigentlich schüchtern, und dass er eine so persönliche Frage stellte, passte überhaupt nicht zu ihm. Hier ging es eindeutig um mehr als um die Prahlerei unter Jungen, ein Mädchen geküsst zu haben. Sie sah es ihm an. Mark hatte Angst.
»Klar«, meinte sie. »Haben wir. Wo steckt er?«
»Ich … ich weiß es nicht«, antwortete er bedrückt. »Ich hoffe, er ist zu Hause. Kommst du mit, und wir reden mit ihm?«
Sie sahen sich lange Zeit in die Augen. Courtney versuchte, Marks Gedanken zu lesen, und Mark betete, dass sie ihn begleiten würde, damit er das belastende Wissen mit jemandem teilen konnte. Vielleicht half sie ihm sogar dabei, alles besser zu verstehen.
Courtney ging an ihm vorbei und sagte nur: »Gehen wir.«
Jetzt hatte sie eine Mission. Sie wollte mit Bobby reden. Wenn sie deshalb zu ihm nach Hause gehen musste, dann würde sie es tun. Mark war erleichtert, eine Verbündete zu haben, aber er
wusste nicht, wie er ihr erzählen sollte, was er gelesen hatte, und ob sie ihm überhaupt glauben würde. Fürs Erste war er zufrieden, dass sie überhaupt mitkam.
Die Pendragons wohnten in einer ruhigen Sackstraße unweit der Schule. Es war gerade Mittag, und Courtney und Bobby würden wieder zurück in der Schule sein, ehe man sie vermisste. Während sie den Gehweg entlanggingen, musste Mark sich anstrengen, um mit Courtneys schnellem, zielstrebigem Schritt mitzuhalten. Er wollte ihr von der Besucherin erzählen, die er in der vergangenen Nacht gesehen hatte, von dem Ring und dem Pergament mit Bobbys Geschichte, aber er hatte Angst, sie würde ihn für verrückt halten. Darum musste er sich jedes Wort sorgfältig überlegen.
»Kennst du Bobbys Onkel Press?«, fragte er beiläufig.
»Klar.«
»Hast du ihn gestern Abend gesehen?«
»Leider! Er hat uns beim Küssen erwischt.«
Marks Herz sank. Es war natürlich egal, ob sich Bobby und Courtney geküsst hatten und dabei von Onkel Press erwischt wurden. Das Problem lag darin, dass Courtneys Antwort bestätigte, was auf dem Pergament stand. Mark fürchtete, dass alles stimmte, wenn schon der erste Teil der Wahrheit entsprach. Bei dem Gedanken wurde ihm schlecht.
Sie hatten Bobbys Haus fast erreicht. Mark hoffte, Bobby wäre zu Hause und alles würde sich in Wohlgefallen auflösen. Er stellte sich vor, wie er zu Bobby ging, ihm das Pergament zeigte und Bobby einen Lachanfall bekam. Er würde erklären, alles wäre nur ein Jux, und er hätte nie gedacht, dass sie darauf reinfallen würden. Es war ein Gag, wie Orson Welles’ Hörspiel »Krieg der Welten«, bei dessen Radioübertragung alle Hörer geglaubt hatten, die Erde würde wirklich vom Mars angegriffen. Darauf hoffte Mark, aber was er im nächsten Augenblick sah, machte diese Hoffnung sofort zunichte.
Linden Place Nummer zwei. So lautete die Adresse. Mark war schon tausendmal dort gewesen. Seit Kindergartentagen hatten sie abwechselnd bei dem einen oder dem anderen daheim gespielt. Bobbys Haus war für Mark wie ein zweites Zuhause. Mrs. Pendragon bezeichnete ihn als ihren zweiten Sohn. Deshalb war er auf diesen Anblick völlig unvorbereitet. Courtney und Mark gingen den Gehsteig entlang bis zu dem Holzzaun, der den Vorgarten der Pendragons umgab … und blieben wie angewurzelt stehen. Entsetzt starrten sie auf Linden Place Nummer zwei.
»Oh, mein Gott!«, war alles, was Courtney herausbrachte.
Mark blieb stumm.
Linden Place Nummer zwei war … verschwunden. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie auf das leere Grundstück. Es gab keinen Hinweis darauf, dass hier jemals ein Haus gestanden hatte. Kein einziges Stück Holz, Stein oder auch nur ein Grashalm war zu sehen. Nichts als kahler Erdboden. Mark blickte zu dem riesigen Ahornbaum hinüber, an dem Mr. Pendragon vor vielen Jahren eine Schaukel aus einem alten Autoreifen für die Jungs aufgehängt hatte. Der Baum stand noch, aber die Schaukel war nicht mehr da. Sogar der Ast, der durch die Stricke tiefe Narben davongetragen hatte, war unversehrt. Keine abgewetzte Rinde. Nichts.
Courtney fasste sich als Erste. »Es ist die falsche Adresse.«
Mark entgegnete leise: »Nein, das ist es nicht.«
Courtney wollte es nicht wahrhaben. Sie rannte über das leere Grundstück. »Aber ich war gestern Abend hier! Ein Weg führte bis zur Haustür! Und die war an dieser Stelle! Bobby und ich standen …« Ihre Stimme
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